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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
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kleinen Spiegel, Essig, da Wein verboten war, verzierte Eier für Fruchtbarkeit, Knoblauch, ein Tellerchen mit Münzen, Äpfel sowie sieben Sorten Gewürze und Kräuter. Auch ein Koran lag auf der weißen Tischdecke. Ein alter Diener bot mir getrocknete Früchte und Nüsse an, die auf seinem Tablett in kleinen Kupferschälchen angeordnet waren, Pistazien, Mandeln, Datteln, Feigen, Aprikosen und Rosinen. Nilus Vater setzte sich ans Klavier. Er bemerkte mich, kam aber erst, um meine Hand zu schütteln, als er sein Stück beendet hatte. Ein netter Mann, jedoch knapp und sachlich. Er sagte: «Willkommen in unserem Haus», und damit hatte es sich. An den Wänden des Esszimmers hingen Ölgemälde von Landschaften in kräftigen Farbtönen und eine alte Kuckucksuhr mit Goldornamenten. Überall standen Vasen mit Tulpen. Wir umringten den Tisch, und Nilus Vater sprach einen Segen. «Liebe Familie, das ist das Fest des Lebens und der Weisheit. Leben haben wir. Und von unserer Weisheit hängt es ab, dieses Leben. Mehr denn je brauchen wir diese Weisheit, in der Zeit, in der wir leben.»
    Wir waren insgesamt dreizehn Personen, mit Nilus Großeltern mütterlicherseits, ihrem Bruder, ihren beiden verheirateten Schwestern mit ihren Ehemännern und zwei Neffen. Ich aß Hühnersuppe mit Nudeln und eine Menge trockene, harte Kekse, getränkt mit Zucker und Honig, und schwieg. Sie redeten glühend über Politik, erzürnten sich alle über die Wohnungsnot. Es ist ihnen anscheinend wichtig, das Gefühl zu haben, sensibel gegenüber dem Leiden der Schwachen zu sein, dachte ich. «Schaut euch an, was hier passiert», ereiferten sich die Schwestern, «eine Wohnung zu kaufen ist schlicht unmöglich für diese armen Normalbürger.»
    «So viel Armut und Leid», regte sich Nilus Bruder lautstark auf, «dabei gibt es so viel Geld in diesem Staat, Erdöl, Kohle, Chrom, Kupfer, Eisen, Erz, wir sind echte Glückspilze – alles gibt es. Ein reicher Staat, aber eine ungerechte Verteilung. Wir, die Reichen, haben einen solchen Überfluss, dass es gar nicht genug Straßen für unsere ganzen Autos geben kann. Aber unter uns ist die Mittelschicht verschwunden, die Leute arbeiten sechzehn Stunden am Tag, zwei Jobs gleichzeitig, und es gelingt ihnen trotzdem nicht, den Kopf über Wasser zu halten. In den Dörfern im Norden sind im letzten Winter Menschen erfroren, weil die Gasversorgung unterbrochen war.»
    «Der Preis für ein Barrel Rohöl ist auf fünfundvierzig Dollar gefallen», warnte der Großvater, «die Armen werden den Preis dafür zahlen müssen.»
    «Die monatlichen Ausgaben für Nahrungsmittel haben sich dieses Jahr bereits verdoppelt», stellte der Abgeordnete fest, «und wir feiern das Leben.»
    Was versuchten sie zu sagen? Ich begriff nicht, schließlich gehörte Nilus Vater der Partei des Präsidenten an, und seitdem die an der Regierung war, waren die Reichen immer reicher geworden und die Armen immer tiefer gesunken, und die Partei war immer noch an der Macht, oder? Also was führten sie hier auf?
    Ich hatte Angst, Nilu in Verlegenheit zu bringen, daher blieb ich stumm. Auch sie schwieg fast den ganzen Abend. Als ein Dienerpaar den Tee servierte, erinnerte sich ihr Vater an mich, wandte sich direkt an mich und fragte: «Für wen stimmst du bei den nächsten Wahlen, mein junger Freund?»
    «Ich habe mich noch nicht entschieden», erwiderte ich mit fester Stimme.
    «Bist du auch besorgt über die Gleichgültigkeit der jungen Leute? Ist denn keiner von den Kandidaten in den Augen der Jugend würdig genug? Wird keiner eurer Ansicht nach etwas ändern?»
    Ich zögerte einen Moment. Dann überkam mich der Mut, und ich sagte mit gedämpfter, ehrerbietiger Stimme: «Vielleicht wird es eines Tages schlimm genug sein, und dann werden die jungen Leute ihre Gleichgültigkeit verlieren.»
    «Komm mal mit, mein Freund.» Dem Anschein nach zufrieden legte er mir den Arm auf die Schulter und nahm mich mit in sein Arbeitszimmer. Eine Wand aus großen roten Ziegeln, die anderen drei mit Büchern bedeckt, und eine gemütliche türkische Ecke – eine Nische wie in einem Hamam, mit einem türkisen Polstersofa, dicken Zierkissen und einem kleinen gurgelnden Wasserbecken. Stille Lichter glitten an dünnen Aufhängungen von der hohen Decke. Es herrschte eine warme Atmosphäre. «Die Wahrheit ist», sagte er, «dass die Gleichgültigkeit der Jugend eine Krankheit ist, die sich überall auf der Welt ausbreitet. Nicht nur bei uns, auch in Amerika und unter

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