Der geheime Basar
mit dir? Du bist Nilufar, die Stärkste von allen.» Ich versuchte zu strahlen, mit meinen Handflächen ihre Wangen zu glätten, ihren Hals, ihre Finger mit Küssen zu überschütten, eine Hand auf ihr Herz zu legen, das Klopfen zu spüren und ihren Kopf an mich zu ziehen, sodass ihre Tränen auf mich tropften, dass sie wusste, ich war da, ich gehörte ihr. «Es wird alles gut mit uns», versprach ich und wedelte um sie herum wie ein besorgtes Hündchen, das den verletzten Leib seines Besitzers ableckt. «Ich will dich nicht verlieren», sagte ich. Sie stieß einen langen Seufzer aus. «Was ist los mit dir?», fragte ich.
«Alles ist so kompliziert», flüsterte sie.
«Aber das ist gut, wenn es kompliziert ist», antwortete ich, und ein Teil von mir war froh zu sehen, dass sie eine so zerbrechliche Seite hatte. Sie brachte ein kleines Lächeln zustande, nahm meine Hand und drückte sie. Wir kippten die Sitze nach hinten, lagen fast auf dem Rücken und hielten uns an den Händen, ich lächelte, und sie schwankte zwischen Lächeln und Tränen. Als die Straße menschenleer war, küssten wir uns. Ich liebe es, dass sie plötzlich verletzlich ist, dachte ich.
Um halb drei Uhr morgens kletterte ich zuversichtlich die Treppen hinauf. Zahra war mit den Blumentöpfen beschäftigt, als ich hereinkam. «Bist du verrückt, Tante?», fragte ich.
«Wir werden offenbar alle verrückt», antwortete sie. Sie begann «Moon River» zu pfeifen, und die Töne, die zwischen ihren Lippen herausdrangen, klangen wie ein ganzes Philharmonieorchester in dem stillen Zimmer, mit Saiten- und Blasinstrumenten, sogar der verschlafene Kater stand auf, starrte sie mit schräggelegtem Kopf an und spitzte die Ohren. Zahra schenkte uns einen Whisky in hohe Longdrinkgläser ein. Ich lachte: «Wieso Whisky, hast du keine Nachrichten gehört, Tante? Einundzwanzig Personen sind letzte Woche in Schiraz und Qom an Alkoholvergiftung gestorben.»
«Na ja», kicherte sie, «wenn ich trinke, riskiere ich vierundsiebzig Stockschläge, ein Jahr Gefängnis, den Strick und Tod durch Vergiftung, was kann besser schmecken? Arian und ich saßen jeden Abend hier, und er fragte mich, was ist heute Gutes passiert? Draußen türmten sich die Leichen, aber wir, wir suchten uns jeden Abend etwas, das gut war. Auch als es bereits unerträglich wurde und wir uns weder daran gewöhnen noch damit abfinden wollten, sogar dann gab es immer gute Dinge. Etwas Neues, das ich gelernt hatte, etwas, das mich bewegte, etwas, das mich zu einem besseren Menschen machen würde. Und jeden Morgen fragte Arian, was wird es heute Gutes geben? Er meinte das wirklich so, nicht zynisch. Eine Sache reicht aus, erklärte er immer. Und das hatte zur Folge, dass alles leichter war, aus dem Bett kommen, aus dem Haus gehen, es schien, als sei alles in Ordnung.»
«Ich weiß, dass es in Ordnung kommen wird», sagte ich, «etwas wird sich bessern, etwas wird gut, ich spüre es tief in meinem Bauch. Aber was? Keine Ahnung.»
«Also was sollen wir uns für dieses Jahr wünschen, mein lieber Kami?», fragte sie, und ich antwortete: «Ein gutes Ende, nur ein gutes Ende.»
«Du wirst zu schnell alt, das ist beunruhigend.» Sie schwieg einige Augenblicke, und dann sagte sie: «Jung sein und verliebt sein, Kami, das ist alles, was du jetzt brauchst.»
«Ich bin jung, und ich bin verliebt.» Ich hätte eine Flut von Worten ausschütten können, doch ein einziger, ganz anderer Gedanke hielt meinen Kopf besetzt: Niemand wird Babak helfen. Ich bin stark genug, ich möchte ein guter Mensch sein, also werde ich ihm allein helfen.
Zahra atmete schwer und murmelte mit einem Lächeln: «Diese Welt ist nicht für uns», und schlief auf meinen Knien ein.
25
Am Morgen nach dem Neujahrsfest nahm ich Zahra mit auf die Polizeiwache. «Was haben wir zu befürchten?», fragte ich. «Wenn sie uns hätten verhaften wollen, hätten sie das längst getan, es ist Zeit, Antworten zu verlangen.» An einem Schalter im Vorraum bat uns ein höflicher Polizist um unsere Ausweise, er erkannte den ehemaligen Star nicht. Die Generation, die sie noch kannte, verschwand zusehends. Zahra zog unwillig ihre Brieftasche heraus. «Wir sind hier in der Sache eines Herrn Babak Tiban», erklärte ich.
«Und worum geht es?», fragte der Polizist.
«Er ist verschwunden.»
Er blätterte Listen durch, schaute in Aktenordner, hackte gewaltsam auf die Tastatur des Computers ein. «Bei mir ist kein Babak Tiban verzeichnet.»
«Manchmal
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