Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
Vom Netzwerk:
Eine Expedition quer durchs Land mit einer Conga-Trommel aus Nussholz und zwei Schlafsäcken. Das war unser Land: Sanddünen und Salzseen. Eine Wüstenei von Wasser und eine Salzwüste. Morastige Sümpfe, Reis und Weizen, Weintrauben und Tee, Nüsse und Tabak, Baumwolle, Rüben, Zuckerrohr und Mais. An den steilen Abhängen verkauften Wanderhirten Milch und Häute, Schaf- und Ziegenwolle. Ochsen und Maultiere pflügten, ein Land der Wölfe und Füchse, Leoparden, Hirsche und Gazellen, Bergziegen, Wildschafe und der Nebelschwaden der Flüsse. Und Millionen Bauern. Es ist ihr Land. Die Mittagssonne thronte über uns, Möwenschwärme, und Amir betete wispernd auf seiner Matte. Ich legte mich rücklings auf die Motorhaube, wartete auf ihn, dehnte mich, absorbierte Sonnenstrahlen und Gedankensplitter.
    Nacht. Wir marschierten mit Jacken und Wollmützen, suchten kleine Hütten, wärmten Erinnerungen auf. Gute Menschen kochten uns Dizi, ein fettes Hammelgericht im Tontopf mit Kräutern und frischem Brot und Kaschke bademdschan, Auberginen in Joghurtsauce. Glühende Basaltsteine reinigten uns von Giften, eine Natursauna in einem in Dämpfe gehüllten Zelt. Wir schliefen am Strand ein. Schlichtheit als Heilmittel.
    Tage verstrichen. Wir standen eng beieinander am stürmischen Meeresstrand an einem Felsen, wir wurden vom Sprühregen der Wellen überschüttet, die sich im Hafen der Insel Hark brachen, einer der größten fünf der Welt. Wir standen auf den Ruinen des alten Persepolis. Und auf den Erdölfeldern in Chuzestan. In den Seidenwebereien der Wüstenoase in Kaschan. Auf den Teppichen von Schiraz. Und am Naksche-Dschahan-Platz in Isfahan – seit 1612 tost dieser Platz, der siebenmal größer als die Piazza San Marco in Venedig ist. «Das ist nicht das Land von Zahra Chazuri aus Teheran», sagte Amir, «und weder deines noch meines.»
    An einem Feld gelber Narzissen, die sich als Schattenrisse im letzten Licht abhoben, zündeten wir ein Lagerfeuer an. «Wie kommt es, dass dich die Freiheit nicht neugierig macht?», fragte ich. «Hast du keine Neugier in dir? Bist du nie in Versuchung, nicht einmal ein bisschen? Du versäumst so viel von der Welt, deine einzige Freiheit ist die Befreiung davon, selbst Entscheidungen treffen zu müssen.» Amir lächelte. Und schwieg.
    Am nächsten Tag, in der Wüste, trafen wir einen Nomaden mit dem Gesicht einer Raubkatze, der sagte: «Passt auf, dass ihr nicht eine Überdosis Ödnis erwischt. Die Ödnis ist die Freiheit.»
    Ich antwortete: «Ich glaube, es entspricht mir gerade, ein Nomade zu sein.»
    «Pass auf», schalt er in väterlichem Ton, «nicht jeder ist reif genug, ein Nomade zu sein.»
    Eine Decke von Nebel und Sand überzog die gequälte Landschaft, der Weg war ausgewaschen und staubig, also nahmen wir den Nomaden mit zu der kleinen Stadt Aran, und von dort ins Herz der Dürre, Kilometer von Nichts und flacher Leere, wie Ölfarbe in grob geriffelter Leinwand versackt, und der rußige Abgasschweif des wiederauferstandenen Peykans.
    «Was quält dich?», fragte der Nomade.
    «Gar nichts quält mich», stellte ich mich unschuldig, «ganz im Gegenteil.» Und ich lachte.
    Er war beleidigt, zog ein Löffelchen aus seiner Teeausrüstung, legte es auf den heißen Sand und sagte: «Nimm an, du bist ein Körnchen, das nur zwei Dimensionen der Existenz zu sehen vermag, Länge und Breite, nur die ebene Fläche, keine Höhe, keine Tiefe. Und hier lege ich dir nun auf die Fläche ein Löffelchen, was siehst du dann, Herr Körnchen? Du siehst zwei Punkte, nur zwei Punkte, den Kontakt des Griffs und den des Schäufelchens. Ich verrücke den Löffel, schiebe ihn nach rechts und nach links, vor und zurück, und was siehst du, Herr Körnchen? Zwei verbindungslose Punkte, die sich immer in die gleiche Richtung bewegen, immer im gleichen Abstand. Wie ist das möglich, fragst du dich, warum sollten sich beide mit so genauer Übereinstimmung bewegen? Wie kann das sein? Was wollen sie? Du hast keine Ahnung. Du misst, du zerbrichst dir den Kopf, machst Versuche und erfindest Erklärungen, aber du hast keine Ahnung und wirst nie eine haben. Die dritte Dimension bleibt dir verborgen. Der Löffel, der Zweck des Löffels, meine Hand, die den Löffel bewegt, nichts davon existiert für dich. Und ich und dein Freund stehen über dir, sehen drei Dimensionen, und kichern, sind stolz auf uns, da, du bist das minderwertige Körnchen, das nicht weiß, was sich vor ihm verbirgt und nur uns offensichtlich ist.

Weitere Kostenlose Bücher