Der geheime Basar
provozieren, Verwirrung stiften, alle durcheinanderbringen. Sie schwebte durch die Luft wie ein schwarzes Gespenst, nur die schönen grünen Augen lugten heraus, die hinreißende Nase, ihre betörenden Lippen sowie die Fingerspitzen. Sie nahm ihren orangefarbenen Rucksack und den dünnen gelben Regenumhang ab, war nun ganz und gar in Schwarz, allerdings mit weißen Sneakers. Defilierte am Publikum vorbei. Der hinterherschleifende Tschador wehte im Wind wie die Robe einer Königin oder vielleicht einer Hexe, und sie dehnte jeden Schritt in die Länge, langsam, aufrecht, sich voll dessen bewusst, dass sie gefilmt wurde. Der Stoffpanzer wirkte schwer, doch das gefiel mir gerade: Vielleicht trug die Rebellin unter der undurchlässigen Schicht ja einfach nichts? Ich ertappte mich dabei, wie ich an das schöne weiche Gesicht dachte, und von ihrem nackten Körper – schneeweiß und samtig – phantasierte, der sich nur für mich entblößte, von mir mit den Fingerspitzen gestreichelt werden wollte und unter jeder meiner Berührungen erschauerte. Meine Hand glitt nach unten, auf und ab. Ich kam. Im Moment darauf hasste ich sie, wie sie mit den Kameras flirtete, eingebildet, einfach widerwärtig, dieser Karrierismus, und ich dachte, es würde eine Qual werden, mit einer zu studieren, deren bloße Gegenwart herausstrich, wie klein wir anderen alle waren.
Die nächsten zwei Tage verbrachte ich vor dem Spiegel und bei Hussein, dem besten Haarstylisten von Anzali, der sagte, ich sähe aus wie ein kurdisches Schaf. Leute von Welt würden an der Universität herumlaufen, also wollte ich wie ein Student aussehen, ein europäischer vielleicht. Amir schlurfte hinter mir her durch die ganze Stadt, murrte, dass ihn meine Versuche, ein Rockstar zu werden, ärgerten. «Warum musst du dich verändern?», fragte er, und je mehr Tage verstrichen, desto trauriger wurden seine Augen. Wir setzten uns mit einem Eisbecher unter die Statue des brüllenden Löwen, und Amir klagte, es würde sicher ein Durcheinander geben. «Was für ein Durcheinander denn?», fragte ich beschwichtigend.
«Ich habe das böse Gefühl im Bauch, dass du mit ihr in Schwierigkeiten geraten wirst.»
«Was für Schwierigkeiten zum Beispiel?»
«Du wirst mit ihr schlafen, und dein Bild kommt in die Klatschspalten.»
«Gebe Gott, vielleicht ist es von Allah geschickt, warum hätte er sonst sie und mich in die gleiche Fakultät gesteckt?» Dabei lachte ich, denn ich meinte das natürlich nicht wirklich so.
«Das findest du lustig?» Jetzt war er aufgebracht. «Du hast sie noch nicht mal getroffen und bist schon verliebt, rennst hier bloß noch wie ein Charmeur herum.»
«Amir, was hast du?», fragte ich. «Was hast du denn? Wer ist verliebt? Du machst mich ganz verrückt.»
«Ich denke, es ist besser, sich von dieser Welt fernzuhalten.»
«Genug jetzt, du Wahnsinniger.»
Und dann war es auf einmal Herbst, und ich stand mit Nilufar Chalidian auf der Treppe der Universität. Sie fragte: «Hast du einen Augenblick Zeit für mich?» Und ich dachte, ein Glück, dass ich das neue graue Polohemd mit den weißen Streifen anhabe. Aber was wollte sie eigentlich? Alle Möglichkeiten der Welt schossen mir durch den Kopf in dem Sekundenbruchteil der Stille. Vielleicht hatte jemand sie gebeten, mir einen Streich zu spielen? Aber wer kannte mich hier denn schon? Ihr Lächeln wirkte nun etwas hilflos, doch ihr Blick war neugierig. «Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich frage», meinte sie verlegen, «aber ich habe ein paar Bücher in der Bibliothek gesucht, und dort ist eingetragen, dass sie alle bei dir sind, nicht dass es dringend wäre, aber ich wollte fragen, wann du sie durch hast, denn es sind ziemlich viele, ich meine, du hast fast die Bibliothek geplündert.» Und sie schlug ihr Heft auf und las vor: «Grundlagen des Bremssystems», «Der Führer für das Schmiersystem», «Das Elektrik- und Zündsystem», «Die Kupplung», «Die Gangschaltung», «Motorenlehre – Fragen und Antworten», «Innere Verbrennungsmotoren», eine Broschüre über Benzineinspritzung, das Lexikon «Wortschatz der Kraftfahrzeuge».
«Ja, entschuldige», schnitt ich ihr das Wort ab und fühlte mich wie ein kompletter Trottel. «Es tut mir leid, ich gebe sie noch heute zurück, ich habe sie einfach mitgenommen, um ein bisschen darin zu blättern, ich repariere einen alten Peykan für meine Tante. Aber es ist wirklich nicht so wichtig, das Auto steht seit zwanzig Jahren da, es kann ruhig noch
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