Der geheime Basar
dass ich das Gesetz befürwortete. Nilufar gab ein weiches Prusten von sich, und ich dachte, sie ist ja viel wärmer, als sie auf den Bildern wirkt. Ihr Körper neigte sich zu mir herüber, und ich geriet völlig durcheinander.
Ein Schal in tiefem Weinrot hielt ihr Haar nachlässig zusammen und glitt zart wallend über die linke Schulter. Ihr Mantelkleid reichte bis zu den Knien, darunter trug sie enge Jeans und schwarze Adidas. Ich schreckte zurück, denn ich hatte keine Ahnung, wie ich es anstellen sollte, nicht wie ein Bewunderer auszusehen, auf keinen Fall wollte ich ihr schmeicheln, aber auch nicht geringschätzig tun, sondern männlich wirken und trotzdem empfänglich für ihren Feminismus – und bemüht, dass unsere Körperhaltung nicht als Flirt verstanden wurde, der feindliche Aufmerksamkeit auf sich lenken würde. Doch wie war es möglich, keine Aufmerksamkeit zu erregen, wenn man mit Nilufar Chalidian zusammenstand?
Zwei Monate zuvor, eines Freitagmorgens in Bandare Anzali, hatte mich Amir um sieben Uhr morgens geweckt, kam zur Tür herein, riss die Vorhänge auf und bellte mich an: «Steh auf, Kleiner», und schwor dann, be-Ali qassam, dass das Leben in der Stadt viel gefährlicher sein würde, als ich meinte. «Was machst du so früh hier, du Verrückter?», fragte ich ihn.
«Du wirst eine Celebrity in der Klasse haben», verkündete er und klang so begeistert, als sei der verschwundene zwölfte Imam gerade eben gelandet.
«Hat sich der hochverehrte Präsident Ahmadinedschad endlich immatrikuliert?», spottete ich provozierend.
Doch Amir war es dringender, mir das Gerücht zu erzählen, als im Namen des Präsidenten beleidigt zu sein – Nilufar Chalidian hatte sich an der Fakultät für Maschinenbau als Studienanfängerin eingeschrieben. «Aus zuverlässiger Quelle» wisse er das.
«Was ist jetzt los, warst du zu oft in der Moschee, dass du ein solches Klatschmaul geworden bist?», lachte ich. «Pass nur auf, dass ich dich nicht mit Nilufar bekannt mache und dir dieses lose Geschöpf noch die Jungfräulichkeit raubt!» Ich rollte mich wieder unter der Decke zusammen, nicht bereit, mich davon in Aufregung versetzen zu lassen. «Verzieh dich, lass mich schlafen.»
Nachdem er weg war, schlief ich allerdings nicht weiter, sondern schloss mich im Zimmer ein, setzte mich an den Computer und suchte. «Nilufar, Rennfahrerin». Ich durchforstete alle Portale und sämtliche Archive, die mir bekannt waren, verlor mich und las wie gebannt jedes Wort, das sie irgendwann gesagt hatte oder das irgendwann über sie geschrieben worden war. Das Wundermädchen. Die wilde Tochter eines Parlamentariers, Abgeordneter im Madschles. Die freche Millionärin. Feministin im Kleinformat. Niemand hätte je von ihr vernommen, doch in den Wüstengegenden, auf verschneiter Straße oder weiß-Allah-wo, bei der nationalen Autorallye, ließ sie alle Männer hinter sich. Sie hatte eine Frau als Copilotin, die beiden behoben ihre Reifenpannen allein, reparierten sogar die Motorschäden selbst. Sie schossen als Erste über die Ziellinie, winkten herausfordernd aus den Fenstern des gelben Pajero. Auf der Triumphbühne, als sich die beiden hüpfend umarmten, unterbrachen die Fernsehsender die Übertragung. In einer ordnungsgemäßen Gesellschaft erhoben sich Frauen nicht über Männer – nicht physisch und ganz sicher nicht geistig. Aber im Internet hatte sich jemand gewaltig angestrengt, und man konnte sich auf die Religiösen verlassen, dass sie einen Skandal entfesseln würden, wie es ihnen keiner so schnell nachmachte, also wusste es auf einmal das ganze Land, und alles, was Nilufar Chalidian machte, war eine Nachricht wert: als sie mit dem Wagen nach Paris, Berlin, Mailand, Marokko flog, als man in den Vereinigten Staaten über sie schrieb, dass sie die Inspiration für Millionen Mädchen sei, eine Heldin, die einen kompletten Staat in Habtachtstellung versetzt, eine ganze Nation auf den schwindelerregenden Geschmack von Veränderung und Hoffnung gebracht und mit dem Interesse an Sport und Frauenproblematiken infiziert habe. Was für ein Blödsinn! So also hörten wir von jedem süßen Atemzug, den die Prinzessin tat.
Ich surfte durch die Webseiten. Bilder, Videos, hier, da war sie auf der offiziellen Rennbahn im Azadi-Stadion. Ein Rennen nur für Frauen. Sie erschien am Start wie eine Ultraorthodoxe, züchtig von Kopf bis Fuß in einen schwarzen Tschador gehüllt. Sie war garantiert nicht strenggläubig, wollte sicher nur
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