Der geheime Basar
Doppeltüren und den Spiegeln, zu vielen Spiegeln für diese Zeit am Morgen. Ein uniformierter Wächter riss mir die Tür mit weißen Handschuhen auf. «Sobh be-cheir», sagte er, «guten Morgen und einen schönen Tag.» Ich lächelte. Zentnerschwere Säcke fielen mir von den Schultern, als ich nach draußen rannte. Ich fühlte mich leicht und war glücklich, in den Gassen unterzutauchen, denen keine Bürgersteige vergönnt waren und deren Namen handschriftlich auf Eisentafeln eingeritzt waren. Das Viertel Fereschteh roch wie das alte Dorf, das es einmal war, und die Türme, die an den Rändern auftauchten, hinderten es nicht daran zu bleiben, wie es war. Ich verschwand zwischen den gedrungenen alten zweigeschossigen Häusern, unter den runden Balkonen mit den Holztüren, vorbei an winzigen Krämerläden, grünen Strommasten und in schlampigem Rot gestrichenen Laternenpfosten. Ich fühlte mich gut. Mir kam es irrtümlich so vor, als würde alles gut werden.
5
In meiner stillen Blase im Bus, der den Modares Expressway entlangkroch, sah ich die kleinen runden Augen des alten Führers, Chomeini, die mich von hohen Betonmauern anstarrten. Tote Märtyrer wandten mir ein trauriges, ölfarbenes Lächeln zu. Der Vater der Revolution heftete den Blick eines wachsamen Großvaters auf mich, er verzieh mir den Besuch in Nilufars Wunderland. Die Stadt leuchtete auf den Wandgemälden, auf den Reklametafeln von Giorgio Armani, die zwischen Kriegs- und Gedenkplakaten untergingen. Nur ein Graffiti an der Fassade des Kriegsversehrtenheims heulte auf: «Wir sind hier lebendig begraben.» Die Schlafgespinste begannen zu bröckeln, setzten mich wieder in der Welt aus. Eine Stadt der vier Jahreszeiten erholte sich von einem würgenden Sommer, von tagelang brütenden dreiundvierzig Grad bis in den Schahriwar hinein. Doch nun rückten plötzlich die ersten schweren schwarzen Wolken heran. Und ich verstand nicht, wie es möglich sein konnte, dass dieses schöne Mädchen einfach so von allen Jungen in der Welt, in der Stadt, in der Fakultät ausgerechnet mich wollte.
Am Mittag sehnte ich mich nach der Nacht zurück. Ich verließ die Vorlesung, denn Nilu war nicht gekommen. Als wir am Morgen gemeinsam erwacht waren, hatte sie nicht erwähnt, dass sie nicht kommen würde. Was hatte das zu bedeuten? Ich hatte keine Geduld, ging durch die steinernen Torbögen hinaus, verließ den Campus. Um zwei, anstelle von Hydromechanik – die härtesten Unterrichtsstunden der Woche –, saß ich im Salon, starrte an die Decke und wartete.
«Wer soll denn anrufen?», fragte Zahra.
«Bin ich so leicht zu durchschauen?», wunderte ich mich, doch es war mir durchaus recht, dass sie sich erkundigte.
«Eine Kommilitonin», gab ich zur Antwort.
«Liebe oder Spielerei?», forschte sie nach.
«Es ist zu früh, um das zu wissen», erwiderte ich, und da ich die vergangene Nacht irgendwie verdauen musste, fragte ich sie: «Sag mal, besteht die Möglichkeit, dass die Regierung will, dass wir mit Untergrundpartys beschäftigt sind?»
«Aber sicher.» Sie nickte gleichgültig.
«Moment mal. Meinst du wirklich, dass die Polizei absichtlich die Augen verschließt?»
«Wie bei den Imperialisten, als sie die Chinesen mit Opium betäubt haben, so ist das mit euch, man hat euch lieber mit abgestumpften Sinnen und genauso töricht, wie ihr seid, ohne Werte, bis ihr es satt habt, bis ihr erwachsen geworden seid und euch selbst verabscheut. Und dann sollt ihr mit den Problemen des Lebensunterhalts, mit den Grundbedürfnissen beschäftigt sein, erschöpft von permanenter Verzweiflung. Was gibt es da viel zu erklären?»
«Wie kannst du solche Dinge einfach so ganz ruhig sagen?»
«Was würde es helfen, wenn ich mich aus der Ruhe bringen ließe? Was kann man schon machen, außer Ruhe zu bewahren? Wir verrotten hier vor dem Fernseher, reden über Rocksänger oder über Mode, wir meinen zu leben, etwa nicht?»
«Aber die Dinge bessern sich. Hör zu, Zahra, im Radio spielen sie jetzt schon Shahin & Sepehr, und es macht sich keiner mehr die Mühe, das Fenster zu schließen, wenn amerikanische Bassgitarren aus einer Stereoanlage das Wohnzimmer erschüttern.»
«Hör mir auf mit Amerika, die ganze Zeit habt ihr Amerika im Kopf», hielt sie mir geringschätzig entgegen.
«Was hast du gegen Amerika?»
«Amerika hat euch noch nie etwas Gutes eingebracht. Rennt bloß nicht Amerika nach.»
«Aber warum?» Ich verstand es nicht.
«Nichts ist, wie es scheint, mein lieber
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