Der geheime Basar
weiter, darauf bedacht, ihr Gesicht zu verbergen. Sie wollte nicht erkannt werden, damit man sich nicht erstaunt fragte, wohin sie verschwunden war, sich über ihr Unglück freute oder ihren pathetischen Zustand bemitleidete.
«Zuerst müssen wir uns intern aussöhnen, danach vielleicht mit Amerika», schloss Zahra, und damit ging sie. Ich hörte ihre schmalen Füße auf den Holzstufen und dann das Wasser in der Dusche rauschen, lange Zeit. Ob man sich in ihrer Situation an Erinnerungen erfreuen konnte, grübelte ich, an irgendwelchen Erinnerungen aus dem früheren Leben, Gedanken über sich selbst, die einem gut taten? Ich saß da und starrte bekümmert auf die orangefarbenen Baumwipfel und die ertrinkende Sonne, die flach und trüb über die Straße fiel. Dann zog ich den Computer zu mir heran, spielte an der Tastatur herum und wartete darauf, dass das Telefon klingelte. Sie sollte nur anrufen, meine Nilu, und wir könnten heute Nacht genau das Gleiche machen wie gestern, nichts Neues, nur sie wieder in ihrem Leibchen und mit offenem, zerzaustem Haar.
«Amerika, politischer Islam», tippte ich trotzig bei Google ein, «Chomeini, Umsturz». Ich wartete auf das Klingeln, während ich mich in einer Riesenmüllhalde kalter Wörter verlor. Die Nacht senkte sich herab, weder Verschwörung noch geheime Unterstützung tauchten in den Computerseiten auf. Nur Kriegsdrohungen und leere Deklarationen. Und wenn man Chomeini politisches Asyl in Paris gewährt hatte, bevor er hier gelandet war, was besagte das? Gar nichts. Die Frau phantasierte. Und vielleicht war das genau das Problem, dass alle um mich herum in der Vergangenheit lebten, sogar Amir hatte sich vor der Zukunft rückwärts geflüchtet. Nur Nilu war bereit, mir ein Tor zu öffnen, mir zu zeigen, dass das Leben hier stattfand, im Hier und Jetzt, und mich in die Gegenwart zu begleiten. Vielleicht bin ich nicht geeignet, die Gegenwart zu leben, dachte ich, sondern nur kindische Zukunftsphantasien und unerschöpfliche Träume.
Ich sehnte mich nach der Nacht mit Nilu. Es fiel mir schwer zu glauben, was passiert war. Und wenn es keine solchen Nächte mehr geben würde? Ich hatte Angst. Die geheime Untergrundstadt tanzte in meiner Phantasie, lauerte darauf, dass ich mich ihr ergeben würde. Würde ich? Ich dachte gerne von mir, dass ich der Wildeste von allen sein würde, wenn ich nur einmal eine Kostprobe nahm. Wenn ich mich nicht fernhielt, würde ich mich mit einer Wildheit unterwerfen, die keine Umkehr mehr zuließe.
Ich legte mich mit dem Computer aufs Bett und richtete einen Proxy-Server ein, der blockierte Websites im Internet umgeht. Ich zappte zwischen lächelnden Mädchen, Halbsätzen erotischer Geschichten, suchte nach Entladung. Dann betrat ich die Duschzelle und öffnete das Fenster, doch die Gebetstremolos Herrn Nadschafians ließen keine erlösende Konzentration zu. Ich phantasierte trotzdem, aber nicht von Nilu, und kam. Erstickt von den gefangenen Dämpfen trocknete ich mich ab, breitete mich nackt über die ganze Matratze aus, in die Laken geschmiegt, erschöpft, aber nicht müde. Meine Glieder waren lose, mein Inneres jedoch brannte völlig verkrampft und eingezwängt, die Spannung ließ meine Atemmuskeln anschwellen, sie blähten sich pochend, drückten auf die dünne Luftröhre, bis sie blockierte und ich nicht mehr genug Luft bekam. Ich war wütend auf Nilu. Sie hatte nicht gesagt, dass sie nicht in die Universität kommen würde, auch nicht angerufen. Aber was schuldete sie mir eigentlich? Nichts. Sie glaubte sicher, beschäftigter als wir alle zu sein, schließlich war sie berühmt. Sie würde nicht in den Unterricht kommen und mich für Stoffzusammenfassungen benutzen. Ich würde allein dort verrotten zwischen den vier Wänden des kühlen Vorlesungssaals, während sie sich draußen austobte. Aber was, wenn sie deswegen auf der Straße zerschmettert war? Was, wenn sie jetzt im Krankenhaus lag, und niemand würde anrufen, um mir Bescheid zu sagen? Ich würde es im Radio hören. Es wäre mir nicht einmal vergönnt, neben ihr zu sitzen und schon gar nicht, ihre Hand zu halten oder den weißen Bauch zu streicheln, die Familie würde verlangen, dass ich ihren guten Namen nicht schädige. Ich würde es in der Zeitung lesen. Oder die Zeitungen würden nicht darüber berichten. Oder sie würden es doch, grausam und schadenfroh, um zu zeigen, wie das Ende einer Aufsässigen aussah. Danach wären sie von ihr gelangweilt, und ich wäre nicht da, um sie zu
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