Der geheime Basar
vorging.
Babak fragte: «Aber warum denn nicht, Frau Safureh, was ist los?»
«Ich werde euch nichts Politisches machen lassen.»
Mir schien, dass ihre Lippen zitterten. Es herrschte Totenstille, wir waren geschockt. Zahra verschluckte ein paar Worte, murmelte in sich hinein: «Wir sind für so kurze Zeit auf dieser Erde, da ist es doch nicht schlimm, wenn wir ein bisschen Lärm schlagen.»
Doch ich rappelte mich auf und stellte mich vor Frau Safureh. «Also was sollen wir dann machen, nur Geld? Amüsieren und Geld, ist das das Leben, das Sie uns zugestehen?» Mich übermannte der Zorn, aber ich versuchte, beherrscht zu bleiben.
«Du wirst hier etwa achtzig Jahre verbringen, Maximum. Das ist die ganze Geschichte; die Zeit verbringen. Finde dich damit ab, koste es aus, und du wirst ein besseres Leben haben.»
«Warum? Wir alle hier in der Wohnung übertreten sechsmal am Tag das Gesetz, ist es nicht besser, wenn wir wenigstens ein würdiges Ziel hätten?»
«Fang jetzt nicht damit an, dich ins Revoluzzertum zu verlieben», erwiderte sie mit verächtlichem Zorn, «ich habe in meinem Leben schon sämtliche Phrasen gehört. Wenn man ins Feuer geht, Kami, kann man nie voraussehen, wie schmerzhaft das endet.»
«Mit einer solchen Einstellung wird es nie Freiheit auf der Welt geben.»
«Du bist ein unschuldiger Spatz», murmelte sie nachsichtig, wobei sie sich überheblich und mitleidig zugleich anhörte.
«Vielleicht, vielleicht aber auch nicht», antwortete ich stolz. «Ich bin so, ich muss glauben, dass es eine Chance gibt, dass die Menschen hier, wenn die Versprechen der Zukunft stärker als die Verzweiflung der Gegenwart und die Narben der Vergangenheit sind, die Hoffnung gegenseitig in ihren Augen sehen werden und dass die Vernunft über die Dummheit siegt.» Und ich fügte noch hinzu: «Es braucht Mut, um Gutes zu tun.»
Babak applaudierte begeistert, biss sich auf die Lippe und ließ einen kurzen Pfiff los. Zahra gab sich alle Mühe, nicht in wildes Gelächter auszubrechen. «Irgendeiner muss doch anfangen», sagte ich entschuldigend. Frau Safureh kroch die Röte ins Gesicht, sie heftete ihren Blick hilfesuchend auf Zahra, und als die erhoffte Rückenstärkung ausblieb, wurde sie noch wütender und bellte uns alle an: «Die ganzen Schwachköpfe, die sich an dem Umsturz 79 beteiligt haben, die haben genauso geredet! Marxisten, Kommunisten, Liberale, Nationale, Mudschaheddin, Psychopathen, eine Orgie von Politik und Visionen, sie haben den Sieg verkündet, hier, sie haben uns Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit gebracht, die Retter der Menschheit waren sie – für zwei Wochen. Und weißt du, was sie heute sind? Leichen. Kadaver allesamt. Kein Mensch erinnert sich. Wenn ich mich an sie erinnern könnte, würde ich sie aus dem Grab zerren, nur um sie eigenhändig auf dem Stadtplatz aufzuhängen, nackt und erbärmlich. Für Träume, meine Herrschaften, bezahlt man mit Blut. Ihr habt keine Ahnung, wie viel Mord und Leid ein verantwortungsloser Traum gebären kann», schrie sie immer lauter, und Zahra brüllte zurück: «Ich war allerdings nicht an 79 beteiligt, mir gibst du nicht die Schuld!» Sie stieß wutschnaubend Luft aus, danach schien es, als kicherte sie in sich hinein.
«Ich akzeptiere die Vorstellung nicht, dass ich auf der Welt sein soll, um achtzig Jahre rumzubringen und dann zu gehen. Ihr gebt uns die Schuld an den Fehlern eurer eigenen Generation», warf ich ihr vor. Nun war die alte Dame beleidigt, wich ein paar Schritte zurück und verkündete: «Für euch alle würde es sich lohnen, auf die Älteren zu hören, die erfahrener sind als ihr. Hört auf, eure Nase in Töpfe zu stecken, die euch lebendig verbrennen werden, und uns gleich mit!» Damit stürmte sie aus der Wohnung und knallte die Tür hinter sich zu. Babak sagte zu mir: «Sie haben wenigstens versucht, etwas zu ändern.»
An dem Tag, als die Bildungsministerin hingerichtet wurde, hatte Frau Safureh an Zahras und Arians Tür geklopft und wollte ein Zimmer oder eine Wohnung mieten. Das junge Paar betrauerte noch den Abgang des Schahs und begriff nicht, dass es auch um das vergangene glanzvolle Leben trauerte, und um das Leben, das der kommende Krieg rauben würde. Auf den Straßen des Viertels befand man sich noch im Zustand höchster Verwirrung, pendelte zwischen der Euphorie über den Abgang des einen Despoten und der Besorgnis über die zornigen Prophezeiungen, die ein neuer Despot verbreitete, hin und her. Der Tod war die
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