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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
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Wunderlösung für alle Zweifel oder Bedenken. Aber es war die Ungewissheit, wohin das Tohuwabohu führen und wie sich das Leben ändern würde, die viel beunruhigender als der Tod war.
    Und da stand, wie sich Zahra jetzt erinnerte, diese Frau auf der Schwelle ihres Lebens, eine neue Mieterin, geheimnisumwittert, schon weil sie allein kam – wer kam in jenen Tagen allein? –, mit einem mageren Gesicht und einem verblichenen, nicht allzu großen Stoffkoffer. Zahra und Arian waren zu durcheinander, um Fragen zu stellen, auch wenn die Zeit es mehr denn je gerechtfertigt hätte. Als sie eintraf, war klar, dass sie sich auf der Flucht befand. «Erlauben Sie mir, eine Vermutung anzustellen», sagte Arian, «Sie sind eine der Entkommenen.» Denn es gab Frauen in Schlüsselpositionen während der Schahregierung. «Machen Sie sich keine Sorgen, Sie werden eine Zuflucht bei uns finden», sagte er ihr, und sie antwortete stockend: «Ja, sicher, ich bin eine von ihnen, ein Flüchtling der gestürzten Regierung.» Zahra war von der zweifelhaften Antwort keineswegs überzeugt, aber wer hatte die Energie nachzuhaken? Die Realität war ohnedies hart genug, man brachte nicht einmal mehr die Geduld auf, Kekse zu backen für einen Höflichkeitsbesuch bei der neuen Nachbarin.
    Zwei Tage vor jedem Monatsbeginn tauchte die Dame immer vorauseilend mit der Wohnungsmiete in bar im dritten Stock auf. Zahra schloss daraus, dass die listige Frau alles tun würde, um einen Besuch in ihrer Wohnung zu verhindern, da sie etwas zu verbergen hatte. Es versteht sich, dass der Verdacht noch mehr erhärtet wurde, als sich herausstellte, dass sich die Rollläden im Erdgeschoss nicht mehr öffnen ließen. Der unschuldige Arian war in Frau Safurehs Namen beleidigt von Zahras Anschuldigung, daher machte sie sich selbst die Mühe, an ihre Tür zu klopfen, fest entschlossen, es zu beweisen. Die Unterhaltung zwischen den beiden wurde im Treppenhaus geführt, der schmale dunkle Spalt der Wohnungstür offenbarte nichts, denn Frau Safureh hielt die Tür die ganze Zeit über fest. «Fühlen Sie sich wohl bei uns?», fragte Zahra stotternd. Frau Safureh antwortete nur: «Selbstverständlich, ja, es hat keinen Sinn, sich zu beklagen», oder so etwas ähnliches, kurz angebunden und ungeduldig, und zog sich eiligst in ihr Versteck zurück, was Zahra extrem ärgerte. In jenen Tagen wurde man in der Stadt sehr leicht wütend. Bewaffnete Milizen verbreiteten Terror auf den Straßen nach eigenem Gutdünken. Wer wusste, was der nächste Morgen bringen würde? Man ließ also Neugier besser nicht ungestillt. Daher griff Zahra nach der Tür, einen Sekundenbruchteil, bevor sie zugeworfen wurde, und blaffte die Frau an: «Frau Safureh! Man kann unmöglich wissen, ob Sie hier nicht unser aller Wohl gefährden, daher ist es meine Pflicht, Fragen zu stellen und Antworten zu verlangen. Zuerst einmal möchte ich wissen, wer Sie sind!» In diesem Augenblick wurde die Geschichte vom Obersten Gerichtshof geboren. «Sie zwingen mich zu bekennen, dass ich in der Tat eine abgesetzte Richterin bin», erwiderte sie, «es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich mit aller Vorsicht zu verstecken, bis wieder Vernunft eingekehrt ist.» Und obgleich Zahra und Arian sich fragten, wie es kam, dass sie ihren Lebtag nicht von der ehrwürdigen Richterin Safureh Mahdis gehört hatten, gestanden sie sich beschämt ein, dass sie sich möglicherweise nie ausreichend in die Lektüre von Zeitungen vertieft hatten und ihr Wissen in solch wichtigen Angelegenheiten in geradezu peinlichem Maße dürftig war. Es war bequem, sich von Mitleidsgefühlen für eine Frau auf der Flucht leiten zu lassen und sich in die Geschichte von einer Dienerin der Gerechtigkeit zu verlieben, die dem gestürzten Regime nahegestanden hatte, dem Fallbeil entschlüpft und ausgerechnet in ihrem Haus, dem Haus der Entkommenen, gelandet war. Und überhaupt, wer war denn verrückt genug, um ausgerechnet eine solche Angabe über sich zu erfinden, die einem die Schlinge um den eigenen Hals für ein Verbrechen legte, das man nicht einmal begangen hatte? Aber in jenen Zeiten erfanden viele Leute Dinge über sich selbst. Es gab keinerlei Anzeichen von Familie. Kein Mensch kam zu Besuch. Das Telefon in der Erdgeschosswohnung hörte man nie klingeln. Arian traf sie öfter im Treppenhaus und wandte sich mit respektvoller Stimme, vielleicht sogar Hochachtung, an sie. «Euer Ehren, Frau Richterin Safureh», bat er sie, «erzählen Sie mir

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