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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
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war, hatten wir ein gutes Leben. Kalte Morgen mit Nebelschwaden. Tage, die viel länger wirkten, wie auseinandergezogen, verschneite Nächte, die sicher und ausgeglichen schienen, wolkenverhangen und überraschend, stürmisch im guten Sinn, sprudelnd. Zum Beispiel, als «Die großzügige Sphinx» die eBay-Versteigerung von Zahras mythologischem, multifunktionalem grünen Lederrock mit zehntausend Dollar beschloss. Als die Nachricht aus dem Posteingangsfach sprang, senkte sich Trauer über die Wohnung. An solche Dinge zu glauben, daran trägt man schwer. Dann schrien wir uns alle gegenseitig an: «Siehst du, das Leben hat sich geändert.» Anschließend überprüfte ich das Profil, eine Kurzrecherche: Es war ein Ägypter, ein schwerreicher Mann, Liebhaber von Frauen und Kino sowie den Songs von Queen, hochgewachsen, schlank, küsste gut, das war alles, was ich herausholen konnte. Der Profilname «Die großzügige Sphinx» flimmerte auf dem Bildschirm. Und die Summe prangte in fettgedruckten, schwarz umrahmten Lettern. Ich rief die Seite alle paar Sekunden auf, als würden jeden Moment weitere solche Irre auftauchen.
    Von da an wurden wir zu zwanghaften Verschwendern. Wir kauften hemmungslos ein, plünderten unkontrolliert die Ersparnisse, die Zahra jahrelang hinter den Küchenfliesen angehäuft hatte. Auf öffentlichen Versteigerungen im Internet fanden wir eine Konserve mit dem Glied eines Stiers, Schlangenfleisch aus dem Zweiten Weltkrieg und auch einen Gartenzwerg von John F. Kennedy. Wir trafen auf einen Ehemann, der das Recht, die Brüste seiner Frau zu befummeln, an jeden verkaufte, der bereit war, ihr eine Vergrößerung zu bezahlen. Wir fanden ein Diätbuch für Katzen und ein Pyjamaset mit dem Konterfei von Madonna für Frau Safureh. Die alte Dame erwarb auch Aktien eines neuen Hotels auf den Malediven, das unter Wasser gebaut wurde, und einen Online-Kurs in Roboterkunde an der Universität Tokio, wo bereits Roboterhaushilfen zum Kochen und Waschen entwickelt worden waren, jedoch noch keine automatischen Demonstranten aus Blech und Drähten.
    So ließen wir die Tage vorbeiziehen, verteilten großzügige Trinkgelder an die Lieferboten, die pausenlos die Wohnung heimsuchten. Zweimal die Woche wurde ich ausgeschickt, um auf dem Weg zur Uni ein Päckchen Geldscheine auf ein seit Jahren leeres Bankkonto zu deponieren, das nun plötzlich zum Zweck von Erwerbungen aus Übersee zum Leben erwachte. Zahra schüttelte ihre unbegründete Askese ab und sang immer «Don’t stop me now» zum Gedenken des Ägypters, der sie befreit hatte. Eine Jukebox begleitete uns im Salon, flackernd und flimmernd mit grellen Neonlichtern, die sie an die «Milk Bar» in Abadan erinnerten, zu Zeiten, als aller Atem stockte, wenn sie den Raum betrat. So erregt und voller Hoffnung waren Zahra und Frau Safureh, dass sie bisweilen gar nicht mehr wussten, was sie mit ihren Händen anfangen sollten. Sie legten sie an ihre Wangen oder wedelten damit in der Luft, riefen aus: «Allah segne diese Generation, die sprudelt, schäumt und kocht, die uns die Computer gebracht und Welten verändert hat, die wir nie ändern konnten.» Und ich schmunzelte immer, denn mir fiel Herr Ali Samimi vom Wassermelonenstand ein, der mich immer Kompjuter nannte, wenn er mir wirklich ein Kompliment machen wollte. Er hatte keine Ahnung, was ein Computer überhaupt war. Für ihn war das ein Begriff für alle Dinge, die ihn überflüssig machten, und er akzeptierte sie ergeben, als wären sie vom Propheten Muhammad selbst herabgesandt, um ihm den Kreislauf des Lebens vor Augen zu führen, die Nahrungskette, die Botschaft, dass die Blütezeit der Wassermelonenverkäufer hinter uns lag und nun die Tage der Kompjuterkinder kämen.
    Jede Zusammenkunft in der Wohnung wurde als Erstes mit den Nachrichten eröffnet – eine Art Zeremonie. Die offizielle Nachrichtenagentur Fars berichtete: Der Wehrpflichtdienst wird verkürzt und beläuft sich ab jetzt nur noch auf ein Jahr und vier Monate. Das Ministerium für Kommunikation vermeldet, dass sämtliche Bild- und Multimedianachrichten auf Mobiltelefonen im Rahmen der Kampagne gegen Moralverbrecher unter die Zensur fallen. Des Weiteren blockiert das Ministerium zurzeit acht Millionen Internetseiten. Etwa die Hälfte der Websites auf Persisch sind bereits gesperrt sowie fünfzig Prozent der englischen Nachrichtenseiten, neunzig Prozent der Internetseiten zur Umgehung von Filtern und hundert Prozent aller Pornographieseiten. Die

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