Der geheime Basar
beobachteten wir immer wieder Mas’ud Nadschafian, der auf seinem Posten auf und ab ging, die Ohren spitzte und einen nie direkt ansah. Die laut betende Stimme seines Vaters drang jeden Abend über die offene Balkontür herauf, was uns Unbehagen bereitete. Frau Safureh unkte, dass man uns nicht mehr lange erlauben würde, unser eigenes Leben fortzusetzen.
Allein war ich Brandon, der Vorsitzende des Nilufar-Chalidian-Untergrundclubs und Leiter des Fan-Forums. Dank Babaks großzügiger Hilfe fand ich die Telefonnummern aller iranischen Botschaften heraus, sogar die des Präsidentenbüros. Ich forderte die Aktivisten auf, Faxe zu schreiben und ihnen auf die Nerven zu fallen – «aber höflich», bat ich, «es ist wichtig, ‹Euer Ehren, wir bitten Sie eindringlichst› zu schreiben.» Auf der virtuellen Mauer der Gleichheit häuften sich die Protestunterschriften, man beteiligte sich aus allen Ecken und Enden der Welt. Und wer nicht zu uns kam, zu dem kamen wir – Allah sei Dank für die Erfindung der Junkmail, ich schickte Massenmails an jedes Gesicht, das sich auf Facebook herumtrieb, und an jeden Gelangweilten auf den Partnervermittlungsseiten. «So macht man Demokratie», sagte ich zu Chamad, dem Kater.
Eines Tages wurde die Trainerin der nationalen Frauenfußballmannschaft verhaftet, weil eine Gruppe zwölfjähriger Jungen während des Trainings der Mädchen auf dem Platz war. Wenige Stunden nach Bekanntwerden ihrer Verhaftung tat ich mich mit der revolutionären Zelle zugunsten gemeinsamer Fußballspiele beider Geschlechter zusammen, und gemeinsam etablierten wir eine kontinentübergreifende Kampagne für gleichberechtigten Sport.
Am Horizont zeichnete sich keine Veränderung der offiziellen Politik ab. Die Online-Aktivisten verlangten Ergebnisse. Als sich der Termin der jährlichen Nationalmeisterschaft für Rennwagen bis 1300 Kubik näherte, waren bereits genügend Unterschriften für einen Aufruf zur Meuterei gegen mich gesammelt. Ich musste ihnen eine dramatische Wende präsentieren, um ihr Aktionsbedürfnis zu befriedigen. «Die Zeit ist reif, aus der Kiste in die frische Luft hinauszutreten», schrieb ich, «in der kommenden Woche versammeln wir uns zum ersten Mal auf der Tribüne des Azadi-Stadions.»
«Versammeln wozu?», fragten sie skeptisch.
«Nichts besonderes», antwortete ich und fügte einen augenzwinkernden Smiley hinzu, «wir werden im richtigen Moment dort sein, wenn Nilufar in der Frauenabteilung ihren Platz am Start einnimmt, wir werden da sein zur Ermutigung.»
Das war das einzige Mal, dass wir alle gemeinsam aus dem Haus gingen, Zahra, Frau Safureh, Babak und ich. Die Luft war klar wie ein Diamant, die winterliche Kulisse geschmolzen. Zahra hatte Sandwiches für uns alle zubereitet, und endlich fühlte ich mich reif genug, ihr zu erklären, dass Plastikfolie mörderisch für die Zukunft der Menschheit sei. Sie bemühte sich zwar nicht, es zu verstehen, gab jedoch gerne nach und wickelte die Sandwiches in Papier. Sie packte auch rote Äpfel und Getränke ein, Servietten und eine Kamera, ich war froh, dass unser Ferientag sie zu organisierter Mütterlichkeit veranlasste. In Frau Safurehs Korb stapelten sich Schokoladetafeln für eine Woche, weiße Zuckerwürfel und fünf Tüten Pistazien. Öffentliche Plätze erinnerten sie an die Besetzung der Moskauer Theaterhalle durch die tschetschenischen Terroristen, entschuldigte sie sich, «man kann nie wissen, wie viele Stunden, Tage oder Wochen du in der Menge festsitzt, in die du dich begeben hast». Zahra ließ sich überzeugen. «Auch bei uns fehlt es nicht an Mudschaheddin im Untergrund, die sich freuen würden, Geiseln zu nehmen», sagte sie, «gerade erst vergangene Woche haben sie doch ein Auto in der Provinz Sistan-Belutschistan in die Luft gesprengt. Und was ist, wenn die Armee Narkosegas über uns versprüht?», fragte sie besorgt und versteckte eine Packung Schmerzmittel und vier Beruhigungstabletten in ihrer Tasche, und dann trug sie in aller Seelenruhe die Produkte von Rimmel auf, die sie während der Verschwendungssucht gekauft hatte, und wickelte ihr Haar straff in ein himmelblaues Tuch.
Wir nahmen die Linie eins der Metro zur Imam Chomeini, von dort die zweier und danach die fünfer. Die Stimmung war überragend, und wir beschlossen, dass wir von nun an einmal in der Woche zusammen ausgehen würden. Es war ein kleiner Sieg für mich, dass sie endlich bereit waren, Unterhaltung auch in der Wirklichkeit zu suchen. Und die
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