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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
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ganze Zeit fragte ich: «Du bereust es nicht, Zahra, oder?» Und manövrierte sie durch die Untergrundstationen. Wir dachten plötzlich positiv – über die neuen, leisen Waggons, und wie spiegelblank der Marmorboden der prachtvollen Station poliert war. Die Bahnhofshalle an der Imam Chomeini erschien Frau Safureh wie ein Tanzpalast; ihre Beleuchtung glänzte wie Goldschmuck. Und wer verstand wohl mehr von Palästen als sie? Die Rolltreppen waren wirklich verblüffend schnell und die Fußgängertunnel mit bronzenen Koranversreliefs verziert. Keramikornamente und Mosaike wurden mit Spots angestrahlt, die sich in das Werk integrierten, bis es einem schien, als sei man in einem Museum in Madrid gelandet, wie die alte Frau hinzufügte. Und wie bequem die blauen Plastiksitze waren und wie einem die Fernsehbildschirme die Zeit vertrieben. Und die Ankunfts- und Abfahrtstafeln, diese lobenswerte Präzision der Zeitangaben, und die grünliche Beleuchtung, die so gesund für die Augen war. Sogar die Armen, die sich auf dem Boden des Waggons breit machten, vermittelten einen eleganten Eindruck. Auf den Anzeigetafeln kündigte das Verkehrsministerium eine bereits im Bau befindliche Hochbahn an, deren Waggons auf einer schmalen Spur über der Stadt schweben sollten – dahingleiten wie auf Eis. Und wir waren übertrieben optimistisch an jenem Tag. Frau Safureh versprach, sie würde uns zu dem Musical «The Sound of Music» in Tokio mitnehmen, doch Babak warnte sie, das sei etwas für Homos. «Schwester, der Hidschab ist dein Schutz, keine Einschränkung», flimmerten elektronische Schilder.
    Lange Schlangen wanden sich an den Toren des Stadions, aber wir mussten nicht ins Gedränge, unsere Karten warteten am VIP -Eingang. Wir setzten uns auf die gepolsterten Bänke in der sechsten Reihe, auf der Ehrentribüne. Vor uns in Fahnen gehüllte Leiber, rot, weiß, grün, Geschiebe und dumpfe Tröten wie bei einem Fußballspiel. Gleich würde das Rennen der Männer beginnen, nach dem wohl viele Zuschauer nach Hause gehen würden, was nicht weiter schlimm war. Danach war die Frauenliga an der Reihe. Wenn das Publikum nicht enttäuschte, wenn unsere Aktivisten tatsächlich da waren, als harmlose Bürger getarnt, würde ein Tosen durch die Reihen gehen, um Nilu anzufeuern. Zahra und Frau Safureh hatten keine Ahnung von dem brodelnden Untergrundprotest im Publikum, der vielleicht zum Ausbruch kommen würde, aber Babak und ich waren zum Zerreißen gespannt.
    Wir haben nicht viele fröhliche Feiertage. Die meisten sind Gedenk- und Trauertage. Doch auf der Tribüne des Azadi-Stadions fand ein Fest statt. Klatschende Hände trieben den öffentlichen Ansager an, mit der Eröffnung zu beginnen. «Meine verehrten Herrschaften» – er räusperte sich im Mikrophon –, «das 1300-Kubik-Rennen! Wir heißen Sie willkommen zu unserem Motorenfest!» Totenstille legte sich über die Menge, als habe die Hand eines Dirigenten den Einsatz gegeben, sie zum Schweigen zu bringen. Es schien, dass auch der Ansager selbst von der Aufmerksamkeit überrascht war. Er verstummte für einen Moment, seine Atemzüge pfiffen durch die Lautsprecher. Dann begann die Verlesung der Teilnehmer – ausschließlich Männer. Plötzlich, mitten aus der Stille des Publikums, brüllte irgendjemand, irgendwo, ihren Namen. «Nilufar Chalidian!» Andere folgten ihm und schrien ebenfalls: «Nilufar Chalidian!» Dann begannen die Leute aufzustehen, Menschenketten, die dastanden und die Köpfe reckten, als warteten sie darauf, dass jemand ihnen den Rhythmus vorgeben würde. Und da brüllte wirklich einer los, und dann brüllten alle, Pfiffe flogen durch die Luft, tosender Applaus. «Ni-lu-far, Ni-lu-far, Ni-lu-far!» Der Sprechchor entzündete sich wie ein Lauffeuer, bis ich sicher war, dass bunte Funken zum Himmel stoben. Das war nicht, was wir geplant hatten, es war zu früh, wir hatten noch Zeit, bis das Rennen der Frauen startete. Doch niemand hielt sich zurück.
    Es vergingen einige Augenblicke, und plötzlich marschierte eine kleine Frauengestalt auf den Rasen. Sie sollte erst in einer Stunde auftreten, doch sie kam jetzt, stellte sich gelassen an den Rand der Bahn, winkte nicht, dankte nicht, stand nur da, damit man sie sehen konnte, und bemühte sich, ein Lächeln zu verschlucken. Wieder breitete sich absolute Stille zwischen den Rängen aus. Wir hörten den Wind, der sich am Publikum brach, die hupenden Lastwagen draußen, zischelndes Geflüster. Mir schien, als hörte ich

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