Der geheime Basar
zu und fuhr langsam zur Startlinie. Sie hielt dicht neben den Wagen der Männer, die startbereit dort standen. Ihr Motor heulte auf, dann folgten die anderen, grollten donnernd und würgend auf der Stelle, als wollten sie das Getöse der Menge verstärken. Die Demonstranten räumten sofort die Bahn, und obwohl kein Startschuss zu vernehmen war, preschten fünf der Rennwagen los, und auch Nilufar Chalidian hob ab und setzte die Erde in Flammen.
18
Das Publikum war noch immer übers Stadion verstreut, doch wir gingen zum Parkplatz hinunter und warteten am Hinterausgang auf Nilu. Sie kam im Trainingsanzug, mit verknitterter Jacke und Rucksack. Sie war blass und hatte dunkel eingesunkene Müdigkeitsränder unter den Augen. Ich versuchte, meine Verwirrung zu kaschieren. Wie konnte ich solche Makel an einer Person entdecken, die doch einen Moment zuvor von den Massen auf den Tribünen als vollkommen gefeiert worden war? Sie schaute mir ins Gesicht und begann zu lachen, die gesamte Ordnung um sie herum löste sich auf, die Welt geriet außer Kontrolle, und auch wir brachen alle miteinander in kindisches Gelächter aus.
Ein Auto hielt neben uns. Es war der Ansager, wir erkannten ihn an der Stimme. «Du bist nicht der Champion», sagte er zu Nilu, «du hast nur Staub aufgewirbelt. Das Problem mit den Frauen ist, dass sie nur heiße Luft produzieren und nach Titeln greifen, die nicht ihre sind. Sie degradieren die wahren Champions, die Leib und Seele hingeben, um die Islamische Republik stolz zu machen.» Das gab der Ansager erzürnt von sich und entfernte sich, ohne auf eine Antwort zu warten. Geschlagen. «Das ist alles?», lachte ich. «Wir sind nochmal heil davongekommen.»
Nilu führte uns zum Auto und setzte Frau Safureh auf den Beifahrersitz. Zahra, Babak und ich pferchten uns hinten hinein. Wir waren wie in einem Traum, segelten euphorisch über die Pfade der Stadt, und die gesamte Strecke über grölten wir aus vollem Hals «Sunny». Als wir den Golfclub Enqelab, den «Club der Revolution», erreichten, rannten wir wie die Verrückten über das riesige, verschlafene Gelände, kurvten die grünen Hänge hinunter, den Kugeln hinterher. Ich dachte, da bin ich nun, schlendere die Bahn des Lebens entlang auf der Suche nach einem weichen Rasenfleckchen, und plötzlich scheint mir, dass ich es endlich gefunden habe, ich habe Lust zu rennen, ich bin stark, und es stört mich überhaupt nicht, dass dicke Frauen im schwarzen Tschador mit eigenen Frauengolfschlägern uns misstrauisch anblicken und tuscheln, was für eine sonderbare Gesellschaft wir seien. «Die Welt ist komisch», sagte ich zu Nilu, und sie antwortete: «Die Welt ist nicht komisch, sie ist schön. Sie ist besonders schön, wenn es einem gelingt, sie zu beherrschen.» Frau Safureh fädelte Bälle in die Löcher ein, rannte mit stolz geschwellter Brust herum. «Sie müssen verstehen, mein Kind, ich bin ein Spielball der Natur. So lebe ich, als ein Spielball der Natur. Wer möchte denn schon die Welt beherrschen?»
Am nächsten Tag gingen wir wieder aus dem Haus, diesmal Zahra und ich allein. Die Metrolinie 1 zum Militärfriedhof im Südwesten der Stadt, Abteilung Märtyrer. Unterwegs hielten wir an, um mir in einem Laden von alten Leuten ein Hemd zu kaufen. Zahra bestand darauf, also wählte ich ein elegantes Stück, das in einer schmucken Schachtel mit einem blauen Seidenband verpackt war. Wir stiegen wieder unter die Erde, fuhren noch einmal dreißig Minuten in einem Waggon unter der Stadt entlang, bis wir an der Endstation an die verödete Oberfläche gelangten. Dann schritten wir den Sandstreifen einer stillen Straße ab, die zum Meer der Toten führte. Die Reihe junger Kiefern spendete kaum Schatten, und darunter konkurrierten die Blumenverkäufer um uns. Wir kauften drei große, weinrote Rosen von einem kleinen Mädchen, das mit seinem verschmutzten Regenmantel und einem zerlöcherten Wollschalfetzen wie mumifiziert wirkte. Zahra zeigte sich beeindruckt von den Neuerungen vor Ort – die Empfangshalle, von der aus die Leichenzüge starteten wie ein Direktflug ins Paradies, Lautsprecheransagen, der Farbmonitor mit den Namen der Verstorbenen, und die Besucher kletterten in einen klimatisierten Bus, nachdem sie Häppchen und Sandwiches in den Läden nebenan zu sich genommen hatten. Und alle waren sie streng weiß gekleidet. Vier Begräbnisse zur gleichen Zeit. Ein paar Tränen und ein bisschen Geschrei, Rufe zu Allah, und das war’s, fünfzehn
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