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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
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sogar den entschlossenen Schwung von Nilus Armen, als sie geradewegs auf die Startlinie zusteuerte und scharfkantig die Luft durchschnitt. Dramatische Stille, verschwörerisch, eine schallende Ohrfeige für die Veranstalter des Rennens, die beunruhigt am Rande der Zuschauertribüne standen, geschockt zu den Rängen blickten, die Begeisterung mit zornigen Blicken zur Kenntnis nahmen. «Es macht Spaß, sie gedemütigt zu sehen», sagte Babak. Und in Zahras Augen schimmerte sogar Feuchtigkeit auf, während sie mit verschränkten Armen und erhobenem Kopf dasaß und die Entladung beobachtete.
    Das Ordnungspersonal beabsichtigte nicht, irgendetwas zu unternehmen, auch die Polizei nicht. Ein Massenaufschrei aus dem Publikum, «Iran für immer! Nilufar für immer!», entzündete die Menge von neuem. Nilu stand seelenruhig da, ich bilde mir ein, sie zwinkerte mir zu. Vielleicht, ganz zart angedeutet, versuchte sie zu signalisieren: Mach dir keine Sorgen. Ich war sehr stolz und sehr beunruhigt, denn bei all dieser Liebe, die sie von Kopf bis Fuß überschwemmte, entbehrte es jeder Logik, dass sie ausgerechnet mit mir weiterhin gehen würde. Ein heißgeliebter Star mit einem schlichten Studenten? Das war nicht normal, sie würden sie mir entführen, Ruhm kann einen Menschen nur verwirren. Ich starrte das Publikum mit drohenden Blicken an und wäre am liebsten zu ihr hinuntergegangen, um ihre Hand zu nehmen, sie an mich zu ziehen, in eine heftige Umarmung, sollten sich die Sittenpolizisten doch ins Knie ficken, sollten sie uns in Handschellen legen. Nein, ich war zu feige, um so stark zu lieben, das wusste ich. Doch bevor ich den Gedanken zu Ende gebracht hatte, riss das vorwärtsstürmende Publikum eine Absperrung nieder, und auf einmal stürzte eine Gruppe Mädchen auf die Bahn, und reihenweise Zuschauer hinterher. Die Polizisten warteten, bis sich der Sturm beruhigen würde. Doch der Aufruhr legte sich nicht. Die Leute bewegten sich trampelnd nach unten, als würden sie keine Angst kennen. Sie umringten die lange Ellipse mit einer Menschenkette, viele wussten nicht einmal, wohin sie stampften.
    Wir zögerten, ob wir aufstehen sollten, blickten nach rechts und nach links. Die Ehrentribüne blieb sitzen. Wir hefteten unsere Augen auf Frau Safureh, als bäten wir um Genehmigung, worauf die alte Dame hektisch eine Flasche Saft in sich hineinschüttete. Der Himmel hatte seltsame Farben angenommen, und es wurde still, der Geräuschpegel der feiernden Demonstranten wurde zu einer monotonen Hintergrundmelodie. Zahra sagte: «Das ist die richtige Aktion, Safureh Mahdis, halte die Jugend nicht auf, Arian hätte gesagt, es gibt keinen schöneren Krieg als den Krieg für Gerechtigkeit. Ist die Gleichberechtigung der Frauen kein Ziel der Gerechtigkeit?»
    «Allah liebt uns alle», sagte Babak, «auch euch Frauen.» Er lachte und stand auf. Ich atmete tief durch, zögerte noch einige Sekunden, dann stand auch ich. «Allah erlaubt Irrtümer, Frau Safureh», sagte ich, «wenn wir uns irren, dann lassen Sie uns irren.» Auch Zahra erhob sich, der Rücken kerzengerade – ein ewiger Filmstar. Nur die Älteste unter uns zauderte, kampferfahren und mit Narben übersät. Zu guter Letzt rollte sie wie aus innerer Qual die Augen zum Himmel und kapitulierte. Wir klatschten. Ich wäre am liebsten in Freudengebrüll ausgebrochen. «Der Kampf wird bald Erfolg haben», sagte ich. Demnächst würden wir unseren neuen Rennwagen hier auf den Platz stellen, zwischen Männer und Frauen, und Nilu wäre von arroganten, erfahrenen Fahrern umringt, mit denen sie das Gaspedal durchdrückt, in einer Livesendung vor den Augen der ganzen Welt. Sie hatten allen Grund, sich vor ihr zu fürchten. «Nilu, ich liebe dich!», brüllte ich und pfiff. So fühlt sich die Freiheit an, dachte ich, ich liebe es. «Die Vorrunde ist annulliert», krächzte der Ansager nervös. «Eine Handvoll Unruhestifter im Publikum hat die nationale Sportlichkeit in den Schmutz gezogen», verkündete er, doch der Tumult der Menge überstieg das Volumen der Lautsprecheranlage. So etwas hat es noch nie gegeben, dachte ich. Es glich einem Sieg. Ich hielt Ausschau nach Nilus Vater, ob er auch da war? War er unten auf der Tribüne? Befand er sich im Stadion, um vor ihr zu salutieren? Ich fand ihn nicht.
    Nilus Wagen stand am Rande der Rasenfläche, unter den Autos der Frauen. Sie schritt leichtfüßig darauf zu, zwischen applaudierenden Händen, ließ sich auf den Fahrersitz fallen, warf die Tür

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