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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
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Minuten später war die Sache erledigt. «Was für eine Effektivität», rief Zahra aus, «wo findet man das sonst bei uns?» Aber wir weigerten uns, uns mit den Massen vor die Computerschirme zu stellen, um den Verstorbenen zu suchen. Zahra war der Überzeugung, dass es sich nicht gehörte, dass eine Witwe ihren Mann im Computer suchte, sie erinnere sich schließlich an jeden Stein in den Gräberalleen, sie würde uns allein hinführen. Wir gingen mit bemessenem Schritt, sie tastete sich voran, und ich trödelte hinterher. Es schien, als machten wir eine Expedition um die halbe Welt, ohne zu wissen, wohin. Schwarze Marmorplatten umschlossen uns, violette Blumen schwankten im Wind, und es herrschte eine Stille aus Flüstern und schlurfenden Füßen auf Kies- und Sandwegen. Aus einem Lautsprecher jaulte ein Gebet. Junge Palmen in Kindergröße standen an Plakaten des Vaters der Revolution mit blutfarbenen Flecken. Die zwergwüchsigen Grabwäscher, die sich von der hilflosen Großzügigkeit des Kummers ernährten, fragten Zahra: «Gute Frau, vielleicht gestatten Sie uns, Ihnen zu helfen?» Doch sie lehnte ab. Ihr gesamtes Leben würden sie hier verbringen, vielleicht hatten sie ihren Lebtag noch nie andere Gesichter als trauernde gesehen, oder sie hatten gelernt, die Trauer so exakt zu mimen, bis ihnen ein tragischer Ausdruck anhaftete, der danach verlangte, dass wir Mitleid mit ihnen und nicht mit uns selbst oder den Toten hatten.
    Hundertdreiundsechzig Blöcke von Grabsteinen und Grabbauten. Vierzehn davon gehörten den Märtyrern der Revolution. Drei den Eltern der Märtyrer der Revolution. Ein Block war den Künstlern und Würdenträgern vorbehalten. Hundertzwanzig Blöcke den einfachen Bürgern wie uns. Fünfundzwanzig Blöcke für Verwaltungsbüros, Parkplätze und das Unterhaltungsareal, das auch Sportplätze, eine Konferenzhalle, zwei große Parks und eine Moschee beinhaltete. Hundertdreißig Leichen pro Tag. «So viele Liberale sind hier begraben», sagte Zahra bitter. «Wie können Leute ihr Leben freiwillig für eine Idee hingeben, und dann kommt die Idee und begräbt sich selbst zusammen mit ihnen? Getilgt sei ihr Name, diese Glücklichen, denen es vergönnt war, hier begraben zu werden und nicht als Gespenster weiter unter uns zu weilen.»
    Schweigende Soldaten mit Baretten querten vor uns den Weg, nickten uns zu. Hin und wieder suchte ein Motorrad zwischen den Gräbern nach einem Gefallenen. «Die Politiker werden sich immer täuschen, Menschen werden immer sterben», murmelte Zahra aufgewühlt, «ein grausamer Krieg war das, wer bin ich schon angesichts dieses ganzen Meeres an Leichen? Ja, das ist der Krieg hier, der große Krieg.» Wir umrundeten die Steinparzellen der Gefallenengräber. «Der aufgezwungene Krieg», fuhr Zahra fort, «wie wir ihn nennen. Der Krieg mit einer Million Opfern. Der längste konventionelle Krieg im zwanzigsten Jahrhundert. Ein Krieg, der so begann, wie er endete, mit den gleichen Grenzen und Positionen beider Länder. Nichts hat sich geändert. Teheran stand unaufhörlich unter Raketenhagel und Sirenenalarm, Begräbnisse, lange Nächte, die Straßen erinnern heute noch daran, es ist überall zu finden, Trauer- und Heldenplakate zwischen Reklametafeln von Sony und Samsung, ein Land mit Todesfixierung und der Obsession, sich seiner Kinder zu berauben. Erinnerungen an jeder Ecke. Ein einziger Grabstein zu Ehren vierzehnjähriger Kinder, die Minenfelder säuberten, Leichen einsammelten, die in den Märtyrertod der Armee Gottes geschickt wurden, die weiter kämpften und fielen, auch als es nicht mehr nötig war, die Amok liefen, mit nichts als den Schlüsseln zum Paradies um ihren Hals in der Hoffnung, damit ihre Angst zu dämpfen. Ihre Eltern sind stolz, der Staat liebt sie, denn dank dieser Kinder sind wir frei von Besetzung geblieben. Sie haben sich selbst an uns verschenkt. Helden. Aber vielleicht liefen sie auch nicht wirklich Amok, vielleicht ist das Land nicht gänzlich unbesetzt. Doch so wird sich die Geschichte an sie erinnern. Verlorene Kriege einen das Volk. ‹Nationale Einheit – Islamische Vereinigung›, so lautet das Schild, das über den Friedhofstoren hängt. Die Liste der Toten war ungeheuer, acht Jahre lang. Wir kämpften allein. Und gegen uns: Saddams Irak und die Vereinigten Staaten, die ihn unterstützten, die Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich, alle unterstützten ihn, so hat man uns erzählt. Und auch damals, unter dem Deckmantel der allgemeinen

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