Der geheime Basar
angebracht, in der Islamischen Republik betrunken zu sein, speziell nicht bei einer staatlichen Arbeit wie der seinen.
Ich war abgelenkt, denn ein Horizont schwarzer Gewänder schloss sich mit einem Mal um uns, es schien, als seien alle außer uns strenggläubig. «Ja, das Volk liebt den Islam», schwadronierte der Hagere, «täuschen Sie sich nicht, das ist eine echte Liebe, die sich Ihnen hier offenbart. Es tut dem Volk gut, in der Religion verbunden zu sein. Und auch seine Ehren, der Präsident, wenn Sie mich fragen, hat sich die weitere Amtszeit, die er, Inschallah, demnächst antreten wird, aufrichtig verdient, denn wer versteht den Schmerz der Massen besser als er und drückt so wunderbar seine Verbundenheit aus?»
Ich fragte mit der gebotenen Vorsicht: «Aber was hilft seine Verbundenheit? Die Lage verschlimmert sich nur, kein Versprechen ist verwirklicht worden.»
«Nun, da haben Sie’s, warum Verbundenheit eine der wichtigsten Eigenschaften eines Führers ist.» Er schien so zufrieden mit sich selbst und mit der Unterhaltung, dass er uns absichtlich kreuz und quer auf dem gesamten Gelände herumführte, und wir krochen ihm blind hinterher, ohne zu fragen, wohin. «Hier, sehen Sie, das bescheidene Grab des Ajatollah Talekani. Und rechts, das immens beeindruckende Grab von Ajatollah Chomeini, direkt unter Ihren Füßen ist die Stelle, an der die Revolution geboren wurde, hier hielt Ajatollah Chomeini am 1. Februar 1979 seine Rede, und wir haben den neuen Weg beschritten. Ich stehe jeden Morgen auf diesem heiligen Stück Boden und bin immer wieder so bewegt, als sei es das erste Mal», erzählte er mit dem verantwortlichen Eifer eines korrekten Touristenführers.
«Dem haben sie wirklich einen neuen Weg eröffnet», flüsterte ich Zahra zu, und wir verschluckten beide ein verstörtes Kichern.
«Das ist Block dreiunddreißig», fuhr der Mann mit seiner Tour unbarmherzig fort, «er wird dieses Jahr von der Verwaltung mit Bulldozern platt gewalzt. Hier liegt eine ganze Gesellschaft begraben, die zu Schahzeiten zu Tode gefoltert oder während der Unruhen hingerichtet worden ist, es gibt keinen Grund mehr, sich weiterhin an sie zu erinnern.»
«Das ist überflüssig», widersprach Zahra leise, «überflüssig und bösartig, Gräber auszulöschen», und sie hatte einen kühlen, wegwerfenden Tonfall, als ließe es sie eigentlich kalt, was mich zu der Vermutung veranlasste, dass bestimmt etliche ihrer Freunde aus der Vergangenheit hier begraben waren und zweifellos viele von Frau Safurehs Freunden, vielleicht sogar ihre Familie.
«Sie haben recht, gnädige Frau», sagte der Hagergesichtige, «ein Mensch schaut ein Grab an, und was sieht er? Ein Fenster. Ein Fenster wohin? Eine Reise, jedes Grab hier ist eine Reise für mich. Daher wird es Sie freuen zu hören, dass meine Berufskollegen eine Petition eingereicht haben, um die Bulldozer aufzuhalten. Ich habe eine eigene Petition, und ich würde mich freuen, Ihre Meinung dazu zu hören. Ich habe mich erst unlängst an die Mullahs gewandt, um sie inständig zu bitten, die Trauerbräuche neu zu überdenken. Schließlich handelt es sich um eine höchst grausame Sitte, eine Witwe für eine ganze Trauerwoche in ihr Haus zu verbannen, während sie Dutzende Gäste, vorgeblich Trauernde, unter dem Deckmantel des Islams bei sich im Wohnzimmer empfangen und bewirten muss. Sie sollen allein trauern dürfen. Diese aufdringlichen Besucher sollen sich damit begnügen, am vierzigsten Tag nach dem Verscheiden zum Grab zu kommen, ist dem nicht so? Es gibt Gebräuche, die nach einer Veränderung im Geist der Zeit verlangen.»
Zahra explodierte, als wären ihre Geduldreserven schlagartig aufgezehrt. «Guter Mann, bringen Sie uns zu Arians Grab und lassen Sie uns bitte in Ruhe», forderte sie ihn auf. Innerhalb weniger Sekunden standen wir ganz überraschend vor seinem Grabstein. Wir blickten einander an und trennten uns von dem Hagergesichtigen, natürlich nicht, ohne ihn zu bezahlen, denn wir wussten beide die Gebete nicht. Ein Fotograf für Begräbnisse und Gedenkzeremonien bot uns ebenfalls seine Dienste an, doch wir lehnten höflich ab. Und sosehr uns auch das Vor und Zurück in der Zeit erschöpft hatte und so viele erbitterte Kommentare wir unterlassen mussten – als wir endlich allein waren, sie und ich und die Marmorplatte, war Zahra gelöst, als lasse der freie Himmel sie vergessen, dass alle Kapitel ihres Lebens auf diesen Parzellen ringsherum verstreut waren und dass
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