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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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seinem ebenso jämmerlichen Zischen wie das, was ich von draußen hörte. Um Gottes willen, Jakob. Um meinetwillen.
    »Geliebte Rakel, ich kann nicht. Dann bringen sie uns ebenfalls um. Um deinetwillen …«
    Als ich weinend auf die Knie gefallen war und nun betete, zu Gott, zu meinen Eltern und allen barmherzigen Seelen, die ich anrufen konnte, da kam sie. Eine Stimme, die den schrecklichen Lärm zerschnitt.
    »Lasst ihn los!«

    Lea. Durch das Fenster sah ich ihre Silhouette, die sich vor dem Himmel abzeichnete. Sie wiederholte ihre Worte, lasst ihn los! Das brachte nicht nur die Männer draußen zum Verstummen, sondern nun suchte auch Jakob in seiner Tasche nach dem Schlüssel, fand ihn, steckte ihn ins Schlüsselloch und öffnete die Tür. Er blieb im Rahmen stehen. Ich drängte mich an ihm vorbei und stürzte hinaus.
    Eine Gruppe von Männern. Zerrissene Hemden, erdbefleckte Hosen, grobe Stiefel. Hunde, bereit, ihren Herren zu gehorchen. Dazwischen, nur zu ahnen, ein Mensch, der auf dem Boden lag, die Beine in einem unnatürlichen Winkel ausgestreckt, das Gesicht im Gras. Das Blut, das von den Blumen und den herumliegenden Steinen aufgesaugt wurde. Lea, in ihrem blauen Kleid, das der Wind bauschte.
    Ich ging zu ihr und nahm ihre Hand. Ich ahnte, dass das Gleichgewicht der Macht sich verschoben hatte, aber dass ein falsches Wort alles wieder umwerfen könnte. Lea drückte meine Hand und schaute zum Himmel hoch. Dann sprach sie.
    »Ja, Jesus. Angeblich hast du gesagt, der, der ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein. Sind diese Männer also ohne Schuld? Es wäre dann das erste Mal, dass ich einem schuldfreien Menschen begegne.«
    Leas Stimme war voller Kraft, und als ich sie losließ, um zu Anton zu laufen, hinderte mich niemand daran. In einem der Männer erkannte ich jetzt den Offizier, der uns zu Wein und Krabben eingeladen hatte. Er trat vor sie hin.
    »Dieser verdammte Mistkerl hat einen unserer Kameraden erschlagen und sich dann seiner Verantwortung entzogen. Und das sage ich dir, Mädel, kein Mann ist besser als ein anderer, und ein Leben für ein Leben kann für uns einfache Menschen gut genug sein, wenn wir die Gerechtigkeit so deuten, wie wir sie verstehen.«

    Lea schüttelte den Kopf.
    »Dein Verstand sitzt in den Fäusten, und das kannst du als Kompliment auffassen. Ich hätte auch etwas anderes sagen können. Auf deine Gerechtigkeit kannst du pissen.«
    Der Offizier schob das Kinn vor.
    »Die Obrigkeit hat diesen Elenden entkommen lassen, ohne für Gerechtigkeit zu sorgen. Der kommt jetzt in die Festung und wird so behandelt, wie er es verdient hat, damit aller Welt klar wird, dass man sich nicht alles erlauben kann. Für gottesfürchtige Menschen …«
    Lea trat einen Schritt auf ihn zu. Die anderen Männer waren zwischen den auf dem Boden liegenden Hunden erstarrt.
    »Zieh keine unschuldigen höheren Mächte in deine schmutzigen Angelegenheiten hinein. Geh zu deiner Obrigkeit und lass sie ihren Schrott selbst einholen. Den Mann, der hier auf dem Boden liegt, lässt du in Ruhe, wenn du noch einen Funken Anstand besitzt. Wir sind mehrere, die gesehen haben, was heute Abend hier geschehen ist. Sieben gegen einen. Man sollte den Herrschaften zu diesem Hochmut gratulieren. Außerdem ist Mittsommernacht. Da treibt das Übernatürliche sein Spiel mit uns. Also hütet euch.«
    Die Männer wichen ein Stück zurück, und ich schaute eilig zum Haus hinüber. Die Tür war wieder geschlossen, von Jakob keine Spur. Ich streichelte Antons Rücken. Hinter mir hörte ich die Stimme des Offiziers, jetzt etwas weniger aggressiv.
    »Du hast ein gut geöltes Mundwerk. Aber Weibsbilder sollten die Klappe halten, wenn es um Dinge geht, von denen sie keine Ahnung haben. Wenn du glaubst, dass wir nicht beenden werden, was wir heute Abend hier angefangen haben …«
    Er drehte sich um, aber sein Hass war erkaltet. Nach allem, was Lea erwähnt hatte, gottesfürchtige und gottlose Mächte, mochte sich niemand mehr prügeln. Die Hunde witterten die
Stimmung und jaulten kläglich zwischen ihren Pfoten. Jemand murmelte etwas von zurückkommen, ein anderer wollte die Inselwache holen. Der Offizier schlug sich mit der Faust in die Handfläche.
    »Wir informieren die Inselwache. Morgen kommen wir her, und holen uns den Schurken und übergeben ihn der Obrigkeit. Glaubt nicht, dass er seine elende Haut retten kann. Niemand verlässt heute Nacht Marstrand, ohne dass sein Boot überprüft wird. Und sich auf der Insel zu verstecken,

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