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Der geheime Garten

Der geheime Garten

Titel: Der geheime Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Hodgson Burnett
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als sie. Er sah hinauf zum Himmel und schaute dann bedächtig um sich.
    »Hörst du die Vögel? Die Welt scheint voll zu sein. Sie zwitschern und singen. Hör nur, wie sie sich gegenseitig etwas zurufen. Die Blätter entfalten sich, überall duftet es.« Er sog mit seiner kurzen Nase die Luft ein. »Und der arme Junge ist von alledem ausgeschlossen. Er sieht nichts. Er fängt an, über Sachen nachzudenken, die ihn weinen machen. Also, wir müssen ihn da herausholen. Er muß hier sein und alles sehen können, er muß die frische Luft atmen und sich vom Sonnenschein erwärmen lassen. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.«
    »Richtig«, sagte Mary. »Ich weiß auch, wie wir es anstellen müssen. Er hat dich ins Herz geschlossen. Er möchte dich sehen, dich und Ruß und Kapitän. Ich werde ihm sagen, daß du morgen mit den Tieren kommen willst. Und wenn der Frühling kommt, wirst du ihn in seinem Rollstuhl hierherbringen.«
    Sie ging ins Haus zurück und setzte sich an Colins Bett. Colin fing an zu schnuppern, wie Dickon es manchmal tat.
    »Du riechst nach Blumen und irgendwie frisch!« rief er. »Was ist das für ein Duft?«
    »Das ist der Wind vom Moor. Ich hab mit Dickon im Gras gesessen. Kapitän, Ruß, Nuß und Schale waren auch dabei.«
    Die Kinder lachten über die lustigen Namen. Sie wurden immer fröhlicher und lachten schließlich so laut, daß Mrs. Medlock, die das Zimmer betreten wollte, vor der Tür im Korridor stehenblieb und wie gebannt lauschte.
    »Auf mein Wort«, sagte sie zu sich selbst, »wer hätte das gedacht?«
    Es gab so vieles zu bereden. Es schien, als ob Colin nie genug hören konnte von Dickon und allen seinen Tieren. Dickons Pony heißt Spring. Mary war einmal mit Dickon in den Wald gelaufen, um das Pony zu sehen. Spring war ein winziges, rauhhaariges Moorpony. Dicke Locken hingen ihm über die Augen. Es hatte ein hübsches Gesicht und eine Nase wie aus Samt. Es war ziemlich mager, weil es nur vom Moorgras lebte, aber es war stark und so drahtig, als wären die Muskeln in seinen kleinen Beinen aus Stahl. In dem Augenblick, da es Dickon erblickte, hatte es seinen Kopf zurückgeworfen und sanft gewiehert. Dann war es auf Dickon zugetrottet, hatte seinen Kopf auf dessen Schulter gelegt, und als der Junge ihm etwas ins Ohr sagte, antwortete er mit einem drolligen Wiehern und Schnaufen und Pusten. Dickon hatte ihm befohlen, Mary zur Begrüßung den Vorderfuß zu geben und sie mit seinem Samtmaul auf die Wange zu küssen.
    »Versteht es wirklich alles, was Dickon sagt?« fragte Colin.
    »Es sieht jedenfalls so aus«, antwortete Mary. »Dickon sagt, man versteht sich, wenn man wirklich befreundet ist. Aber die Freundschaft muß echt sein.«
    Colin lag ein Weilchen still. Seine seltsam dunklen Augen schienen die Decke anzustarren, aber Mary fühlte, daß er nachdachte.
    »Ich möchte gern ein guter Freund sein. Aber ich bin es nicht. Ich habe nie jemanden gehabt, mit dem ich mich befreunden konnte. Ich kann Menschen so schwer ertragen.«
    »Kannst du mich ertragen?« fragte Mary.
    »O ja«, sagte er, »es ist komisch, aber dich hab ich sehr gern.«
    »Ben Weatherstaff sagte, ich sei so wie er. Wir hätten beide dasselbe unausstehliche Wesen. Ich glaube, du bist auch so wie er. Er meinte, an uns wäre nichts Besonderes zu sehen, weil wir immer mürrisch dreinschauten. Aber ich bin bestimmt nicht mehr so unangenehm wie ich war, bevor ich das Rotkehlchen und Dickon kennenlernte.«
    »Hast du auch manchmal das Gefühl, daß du die Menschen hassen könntest?«
    »Ja«, antwortete Mary ohne jede Scheu. »Dich hätte ich bestimmt gehaßt, wenn ich nicht Robin und Dickon vorher kennengelernt hätte.«
    Colin streckte seine magere Hand aus und berührte Mary.
    »Mary«, sagte er, »ich wollte, ich hätte nie gesagt, daß ich Dickon wegschicken würde. Ich verwünschte dich, als du sagtest, er sei ein Engel. Aber vielleicht ist er es wirklich.«
    »Es ist ein bißchen merkwürdig, so etwas zu sagen«, gestand sie freimütig, »denn er hat eine Stupsnase und einen breiten Mund. Seine Kleider sind voll Flicken, und er spricht Yorkshire-Mundart. Aber wenn jemals ein Engel nach Yorkshire käme und im Moor lebte, ich meine, wenn es einen Yorkshire-Engel gäbe, er würde die Natur lieben und wissen, wie man alles zum Wachsen und zum Grünen bringt. Er würde auch wissen, wie man mit den Tieren spricht, so wie Dickon es tut. Sie wären ganz sicher, daß er ihr Freund wäre.«
    »Ich hätte nichts dagegen, wenn

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