Der geheime Name: Roman (German Edition)
Schlaflager, die es in der Hütte gab. Die beiden schönsten lagen direkt nebeneinander, in einer Ecke hinter dem Feuer, so nah beisammen wie ein Ehebett – und ein drittes Lager befand sich neben dem zugigen Eingang der Hütte, nur mit dreckigen, dünnen Fellen ausgestattet.
Fina musste nicht fragen, um zu wissen, welches Lager wem gehörte. Und sie musste keine Gedanken lesen, um die Gier des Männleins in seinem Gesicht zu sehen.
Es war noch mitten am Nachmittag, als er anfing, ein großes Fleischstück in Kräuter einzulegen. Während es über dem Feuer briet, holte er Gemüse und Kartoffeln aus einer Vorratsecke und fing an, sie zuzubereiten. Fina spürte ihren Hunger. Seit Wochen hatte sie kaum etwas gegessen. Aber das opulente Mahl, das er für sie zubereitete, konnte nichts Gutes bedeuten.
Als es draußen dunkel wurde, servierte er ihr den knusprigen Wildschweinbraten und gab ihr aus goldenen Bechern zu trinken. Der Blick seiner hässlichen Augen ruhte unablässig auf ihrem Gesicht, solange sie gemeinsam an seinem massiven Holztisch saßen und aßen.
Fina zwang sich, ihn anzulächeln, und lobte sein Essen, das tatsächlich gut schmeckte. Dennoch musste sie jeden Happen herunterquälen, während sie aus den Augenwinkeln wahrnahm, dass Mora wach geworden war. Sie ahnte seinen Blick, konnte seine Qual beinahe spüren – und bemerkte kaum, wie die Finger des Alten anfingen, nach ihren Händen zu tasten. Plötzlich streiften sie ihre Haut.
Fina zuckte zusammen und zog ihre Hand weg. Hastig tarnte sie ihren Schrecken mit einem Lächeln und griff möglichst beiläufig zu ihrem Messer.
Aber seine Finger suchten beständig nach ihrer Nähe, bis es ihrer ganzen Aufmerksamkeit bedurfte, ihnen unauffällig auszuweichen. Immer, wenn sie seine Hand kommen sah, griff sie nach ihrer Gabel oder nach ihrem Becher, lehnte sich zurück und lächelte ihn an. Doch es fiel ihr immer schwerer, ihn zu täuschen.
»Der Geheime fühlt sich geehrt, wenn das Hochzeitsmahl ihr mundet.« Die Stimme des Wichtes durchbrach das Schweigen.
Fina hielt im Kauen inne. »Was für ein Hochzeitsmahl?«
Das Gesicht des Wichtes formte sich zu einem Grinsen. »Sie ist doch seine Braut – hat sie das nicht gewusst?«
Der Bissen blieb Fina im Hals stecken, brachte sie zum Husten. Er hatte es schon einmal gesagt, heute Morgen im Moor. Plötzlich fiel es ihr wieder ein.
Moras Stöhnen mischte sich in ihr Röcheln, ein gequältes Winseln, als hätte er ihrem Gespräch gelauscht.
Finas Blick huschte zu ihm, endlich ließ sich ihr Husten bezähmen. In der nächsten Sekunde wurde ihr klar, dass sie vorsichtiger sein musste. Schnell sah sie zurück zu dem Wicht, lächelte ihm zu und stach in eine Kartoffel. Sie hatte kein Bedürfnis mehr weiterzuessen. Die Kartoffel lag klebrig in ihrem Mund und ließ sich nur mit einem Schluck Wasser herunterspülen.
Am liebsten wollte sie Mora ihr Essen bringen. Seit sie hier war, hatte er nicht einmal etwas zu trinken bekommen. Fina hatte nicht gewagt, danach zu fragen. Aber wenn sie es jetzt nicht tat, würde er verdursten.
»Was ist mit dem Diener?« Sie versuchte, ihre Stimme fest klingen zu lassen. »Wenn wir ihm nichts zu trinken und zu essen geben, stirbt er.«
Der Wicht lehnte sich zurück, verschränkte seine kurzen Arme vor der Brust und hob die Augenbrauen. »Es stirbt?« Er warf einen Blick zu Mora. »O ja. Es stirbt wohl bald. Aber der Geheime hat sein Weibchen ja jetzt gefunden. Sie brauchen das Menschenscheusal nicht mehr.«
Ein harter Sog riss Fina nach unten. Ihr Körper saß noch, aber ihre Gedanken stürzten, tief hinab in einen dunklen Abgrund. Ihr Blick fiel auf Mora, streifte den verletzten Ausdruck in seinen Augen. Er lebte noch! Sie wollte sich an ihm festhalten, bei ihm bleiben.
Sie musste für ihn kämpfen! Musste ihn retten! Fina zwang sich, dem Sog zu widerstehen – und plötzlich waren ihre Gedanken glasklar. Sie sah die Strategie eindeutig vor sich, die sie anwenden musste, um ein herzloses Monster zu überzeugen: Sie musste genauso herzlos erscheinen.
Fina richtete sich auf, sprach so kühl, als würden sie über das Leben einer Fliege verhandeln: »Ja, ich weiß, wir brauchen ihn nicht mehr. Aber wenn er verdurstet, dann stirbt er schon in dieser Nacht. Will der Geheime das?«
Mora keuchte auf.
Wieder klirrte das Lachen des Wichtes durch die Hütte. Erst nach einer ganzen Weile neigte er seinen Kopf zur Seite, und sein Lachen verwandelte sich in ein scheinheiliges
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