Der geheime Name: Roman (German Edition)
Knurren. »Findet sie ihn unmenschlich, wenn er den Diener verdursten lässt?«
Finas Herz flatterte. Was sollte sie auf diese Frage erwidern? Was war die richtige und was die falsche Antwort? Sie ermahnte sich, ihre Rolle unbedingt beizubehalten. So entspannt wie möglich lehnte sie sich zurück und zuckte die Schultern. »Na ja, besonders menschlich ist es jedenfalls nicht.«
Ein breites Grinsen glitt über das Gesicht des Geheimen: »Menschlich, menschlich, das ist so ein Wort der Menschen, mit dem sie sich selbst belügen.« Er beugte sich über den Tisch, seine Augen blitzten sie an. »Zerstören, Vernichten und Töten ist menschlich, hat sie das noch nicht begriffen?« Er grinste, schüttelte langsam den Kopf: »Nein, natürlich hat sie das noch nicht verstanden. Immer, wenn es schrecklich wird, dann sterben die Menschen. Wahrscheinlich fällt es ihnen deshalb so leicht, ihr wahres Wesen zu verdrängen.« Er verzerrte die Oberlippe zu einer Grimasse, fast so, als würde er die Zähne fletschen. »Aber der Geheime … der Geheime hat so viele tausend Jahre in ihrer Nähe verbracht, dass er selbst schon ganz menschlich geworden ist.« Er hob sein Messer, ließ es herabfahren und trieb es in das Fleisch auf seinem Teller.
Fina zuckte zusammen.
Der Geheime lachte. »Aber sie ist noch so ein zartes, junges Weibchen. Sie kennt die Menschen noch gar nicht.« Er winkte beiläufig mit der Hand, ließ seine beiden Daumen hin- und herschlackern. »Ihre Unschuld will er ihr nicht nehmen. Dann bring sie dem Menschenscheusal eben Essen und Wasser.«
Fina hielt den Atem an. Möglichst gleichgültig nahm sie ihren Teller. Sie goss frisches Wasser in einen Becher und ging mit beidem zu Mora.
Sein Blick streifte sie, als sie sich vor ihn hockte. Fina wollte eine Entschuldigung mit ihren Lippen formen. Aber der Herr beobachtete sie. Also starrte sie auf ihre Hände, während sie das Wasser durch das Gitter reichte. Sie wollte Moras Fingerspitzen berühren, wenigstens das.
Doch er nahm den Becher nicht an.
Fina erwartete Trotz oder Stolz in seinem Gesicht. Aber seine Augen waren trauriger als je zuvor, gleichgültig und leer.
Die Verzweiflung tobte durch ihr Inneres, sprang gegen ihre Rippen. Fina wollte ihn anbetteln, dass er trinken solle, wollte sich endlich bei ihm entschuldigen.
Sie presste den Mund zusammen, um sich daran zu hindern. Der Geheime lauerte nur darauf, ihr Schauspiel zu enttarnen.
Wieder brach der Wicht in sein Gelächter aus.
* * *
Das Gelächter des Herrn klirrte in Moras Ohren, wirbelte durch seinen Kopf und goss Öl in das Feuer auf seiner Haut. Nur verschwommen konnte er sehen, wie der Geheime auf den Käfig zukam. Direkt neben Fina blieb er stehen, legte seinen Kopf zur Seite und sah auf Mora herab. »Tiere wissen, wann ihr Ende gekommen ist.«
Mora zuckte vor seinem Blick zurück, starrte auf den Becher, der vor ihm im Käfig stand. Seine Kehle war trocken vom Durst, mit jedem Atemzug sah er das glitzernde Quellbecken vor sich. Er wollte sich hineinstürzen und trinken, wollte das kühle Wasser auf seiner Zunge fühlen, während er es in tiefen Zügen in sich einsaugte.
Jetzt stand ein Becher mit Wasser vor ihm. Er könnte ihn nehmen und trinken.
Aber wozu? Finas Bild schob sich über das Glitzern des Wassers. Er wünschte sich ihr Lächeln, ihre Berührung. Stattdessen erkannte er die Abscheu auf ihrem Gesicht. Sie liebte ihn nicht. Sie hatte ihn nur benutzt, um zu seinem Herrn zu gelangen.
Der Geheime schob seinen Fuß zwischen den Gitterstäben hindurch. »Wenn es nicht trinken will, so soll es sterben.« Er stieß den Becher an. Doch er wackelte nur, Wasser schwappte über den Rand.
»Trink!«, zischte Fina.
Moras Hand zuckte unter ihrem Befehl zusammen, gab nach und griff nach dem Becher. Er trank in schnellen Zügen, sein Durst brannte, ließ das wenige Wasser in dem Feuer verdampfen. »Mehr«, flüsterte er, hob den Kopf und versuchte, Fina anzusehen.
Ihr Blick zuckte vor ihm zurück. Sie ging mit aufrechter Haltung zum Tisch und goss neues Wasser in den Becher. Kälte lag in ihrem Gesicht, als sie wieder zu ihm kam. Die gleiche Kälte, mit der sie ihn schon den ganzen Tag bedachte, mit der sie über ihn sprach und die nur dann von ihrem Gesicht wich, wenn sie dem Geheimen zulächelte.
Moras Gedanken wirbelten durcheinander. Der Schmerz verbrannte seine Haut, fraß sich bis in sein Inneres. Er trank das Wasser und konnte die Flammen dennoch nicht löschen. Es war nicht genug.
Weitere Kostenlose Bücher