Der geheime Name: Roman (German Edition)
hat sich gegrämt. Er hat seine Tochter so geliebt. Er hat immer davon gesprochen, dass sie eines Tages wiederkommen würde, um die Mühle mit ihrem Geld vor dem Verfall zu retten. Aber als sie dann hier war, kurz vor seinem Tod … da war sie so anders, so, als würde Geld ihr gar nichts bedeuten. Plötzlich schien es um viel schlimmere Dinge zu gehen.« Oma Klara sah Fina wieder an. »Du ahnst nicht, welche Angst ich um euch hatte. Aber ich konnte nichts tun. Deine Tagebücher waren der einzige Trost. Wenigstens ein Hinweis darauf, dass ihr noch lebt.«
Fina atmete tief ein. Auf einmal bekam die ganze Geschichte einen logischen Zusammenhang.
»Was machen wir jetzt mit dir?« Oma Klara blickte sie noch immer mit großen, entsetzten Augen an.
Fina ließ ihren Kopf auf den Tisch sacken, legte ihn seitlich in ihre Armbeuge. Sie war müde. Sie wollte nicht wieder fliehen. Ganz egal, wer sie verfolgte, sie war gerade erst hier angekommen. Wenigstens für eine Weile wollte sie bleiben. Ganz in Ruhe wollte sie ihre Bewerbungsmappen fertigmachen und nebenbei ein wenig jobben.
Seitdem ihre Oma sie so freundlich empfangen hatte, war alles auf einmal so klar gewesen, so einfach. Dieser Ort konnte ihr Zuhause sein, zumindest für eine Übergangszeit, bis sie ihre Zukunft organisiert hatte. Und auch später würde sie jederzeit hierher zurückkehren können.
Nach einem solchen Ort hatte sie immer gesucht. Schon fast hatte sie aufgehört, darauf zu hoffen – doch jetzt, nachdem sie ihr Zuhause gefunden hatte, da konnte sie es doch nicht wieder aufgeben? Wegen einer vagen Bedrohung, die ihr niemand erklären wollte.
»Herrgott, ich bin fast neunzehn!« Fina hob den Kopf. »Ich bin selbst verantwortlich für mein Leben! Wenn mein blöder Vater tatsächlich ein Geheimagent ist, dann hätte Ma das ja mal erwähnen können. Zumindest, nachdem ich die beiden zusammen erwischt habe.« Fina schnaubte durch die Nase. »Und überhaupt: Geheimagent. So ein Quatsch mit Soße. Mag ja sein, dass er ein Diplomat ist – aber wir sind hier doch nicht im Film!« Sie spähte wieder aus dem Fenster, suchte nach einer Bewegung im Schatten der Bäume. »In jedem Fall muss mich schon jemand entführen, bevor ich wieder von hier weggehe.«
Fina presste die Lippen aufeinander. Sie wusste nicht, ob es Stärke oder Trotz war, das auf einmal durch ihren Körper pulsierte. In jedem Fall etwas, das sie darin bestärkte, sich nicht von ihrem Ziel abbringen zu lassen. »Wenn du nichts dagegen hast, dann bleibe ich noch eine Weile, schreibe meine Bewerbungen und verschwinde wieder, wenn ich einen Studienplatz bekommen habe. Ich suche mir auch einen Job, damit ich dir nicht auf der Tasche liege.« Sie sah ihrer Großmutter in die Augen. »Und diese Agentenkacke, die vergessen wir mal schnell wieder. Was meinst du?«
Das Gesicht ihrer Großmutter formte wieder ein lächelndes Herz. »Ich meine, dass du eine ziemlich mutige junge Frau bist. Und eine verdammt hübsche noch dazu.«
Fina lachte auf.
Doch ihre Oma hob die Hand. »Ganz im Ernst: Diese rehbraunen Augen, die musst du von ihm haben. Und wenn ich sehe, wie sie vor sich hin blitzen, dann ahne ich langsam, warum dein Vater deiner Mutter so den Kopf verdreht hat.«
Fina sah nach unten. Bislang war ihre Mutter die Einzige gewesen, die ihr gesagt hatte, wie hübsch sie war. Doch diese Aussage besaß keinen Wert, solange sie von der eigenen Mutter kam.
Oma Klara wurde ernst. Sie wandte ihren Kopf zum Fenster, suchte auf die gleiche Weise in den Schatten wie Fina zuvor. »Natürlich kannst du so lange bleiben, wie du willst. Aber vielleicht solltest du dir erst mal noch keinen Job suchen. Falls du doch von jemandem verfolgt wirst, sollten nicht so viele Leute erfahren, dass du hier bist.«
* * *
Ihre Großmutter hatte tatsächlich ein Zimmer für sie eingerichtet. Es war ein kleiner Raum, der von all den Dingen belebt wurde, die Fina in den letzten Jahren etwas bedeutet hatten. In einem großen Buchregal standen ihre Bücher und CDs, in einem Antiquitätenschrank warteten ihre liebsten Winterklamotten, und auf einer alten Kommode waren ihre kleinen Schätze dekoriert, Dinge, die ihr etwas bedeutet hatten, bis sie sich schweren Herzens von ihnen hatte trennen müssen.
Als Fina am späten Nachmittag zum ersten Mal allein in ihr Zimmer trat, konnte sie ihren Blick nicht von dem kleinen Känguru lösen, das zwischen den Schätzen auf der Kommode saß. Kängu, der Tröster und Gefährte ihrer
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