Der geheime Name: Roman (German Edition)
ihn endlich sehen, wollte ihn wenigstens berühren. »Gibt es dich wirklich?«
Der Atem des Unsichtbaren verstummte, nur ganz kurz, bevor er wieder einsetzte. Doch seine Antwort blieb aus.
Finas Nackenhaare stellten sich auf. Wie sollte er auch antworten? Sie war verrückt, vollkommen durchgeknallt. Warum sonst sollte sie hier im Moor stehen und mit einem Unsichtbaren sprechen?
Eine schnelle Bewegung lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den Wanderweg. Das Eichhörnchen raste auf sie zu, sprang vor Fina in die Luft und rannte steil nach oben. Für eine Sekunde zeichnete es die Konturen des Unsichtbaren nach, bevor es auf Augenhöhe in der Luft sitzen blieb.
Fina keuchte auf, starrte auf das surreale Bild, während das Eichhörnchen seinen Hals reckte und leise keckerte. Es sah aus, als wolle es jemandem ins Ohr flüstern.
»Sie soll keine Angst haben.« Plötzlich sprach er, eine unsichtbare Stimme, direkt vor ihr. »Es tut ihr nichts.«
Fina schüttelte den Kopf über seine Worte. Wovon sprach er? Von dem Eichhörnchen? »Du bist der Junge, der mich gerettet hat, oder? Warum kann ich dich nicht sehen?«
Der Unsichtbare regte sich nicht. Nur das Eichhörnchen sah neugierig zu ihr herüber.
Dort, wo es saß, musste seine Schulter sein.
»Also, wenn das Eichhörnchen auf deine Schulter klettern kann …«, hauchte Fina. »… kannst du mich dann berühren?«
Sein Atem stockte, seine Füße scharrten auf dem Grund. Plötzlich spürte sie etwas an ihrer Schulter, das Streichen einer Hand, das so flüchtig war, als wollte sie sich sofort wieder zurückziehen.
Fina griff nach seiner Hand, hielt sie fest und fühlte ihre Wärme. »Warum kann ich dich nicht sehen?«
Die Hand unter ihren Fingern zuckte. »Sie redet so fremd. Es versteht nicht, was sie fragt.« Sein Tonfall klang eingeschüchtert.
Finas Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie suchte sein Gesicht in der Luft, suchte es dort neben dem Eichhörnchen, wo es sein musste. Plötzlich wusste sie, warum er so seltsam sprach. Er redete in der dritten Person.
Sie atmete tief ein, versuchte, ihre Frage in seine seltsame Sprechweise zu übersetzen: »Was muss sie tun, wenn sie ihn sehen will?«
Seine Hand wurde ganz still. Doch sie war da, warm und lebendig unter ihren Fingern. Ein wildes Gefühl rumorte in ihrem Bauch, trieb ein leises Lachen durch ihren Mund. »Muss sie erst wieder ins Moor fallen, um ihn zu erreichen?«
Eine zweite Hand berührte ihre Haare, strich ganz leicht darüber und verschwand wieder. »Ja.«
Fina fröstelte. Wie eisiges Wasser lief der Schauer ihren Rücken hinab. Sie wollte ihn sehen, wollte endlich Klarheit über das, was passierte! Noch nie war sie ihrem geheimen Traum so dicht auf der Spur gewesen. »Dann gehe ich jetzt baden.«
Sie ließ seine Hand los, lief über den schmalen Pfad, der seitlich zwischen den Torfstichen hindurchführte. Die Moortümpel waren von dichtem Moos überwachsen, doch dazwischen glitzerte braunes Wasser.
Fina sprang ab, fiel und tauchte mit den Füßen zuerst ein. Das Moor war fester als Wasser, nahm sie nur bis zu den Schultern.
Erst jetzt wurde ihr klar, was sie getan hatte. Panik überfiel sie. Sie wollte zum Pfad zurückschwimmen, aber die Torfmoose umschlangen ihren Körper, hielten sie so fest, dass sie sich noch nicht einmal drehen konnte. Fina befreite ihren Arm aus den Ranken, griff nach einem kleinen Birkenstamm, der aus dem Tümpel ragte, und versuchte, sich daran hochzuziehen. Doch das tote Holz brach entzwei und ließ sie nach vorne sacken. Fina strampelte, ihre Hände suchten nach Halt im Schwingrasen und zerrissen die dünnen Hälmchen.
»Hilf mir!«, schrie sie, suchte mit ihrem Blick den Pfad ab, versuchte, zum Wanderweg zu sehen. Wenigstens jetzt musste er doch sichtbar werden, musste sich zu ihr beugen und sie retten.
Aber sie war mutterseelenallein im Moor. Weit und breit war niemand zu sehen. Selbst das Eichhörnchen war verschwunden.
»Hilf mir!« Fina schrie, zappelte, versuchte, den Moosranken zu entgehen. Aber das Moor zog nur umso stärker an ihr, saugte ihre Schultern und Arme in sich auf, bis nur noch ihr Kopf über Wasser war.
Warum kam er nicht? Warum griffen seine Hände nicht nach ihr? Sie war so nah am Pfad, dass er sich nur zu ihr hinabbeugen musste.
Er hatte sie doch nicht das eine Mal gerettet, um sie jetzt sterben zu lassen?
»Nun komm schon!« Ihre Stimme schrillte, Sekunden, bevor ihre letzten Worte mit ihr im Moor versanken.
Fina schrie, gurgelte ihre Angst in
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