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Der geheime Name: Roman (German Edition)

Der geheime Name: Roman (German Edition)

Titel: Der geheime Name: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Winterfeld
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Boden.
    Fina starrte zu ihm hinüber. Er sollte bei ihr essen, sollte wenigstens bei ihr sein, wenn sie schon nicht mit ihm reden konnte. Sie wollte ihn rufen, aber sie wagte es nicht, schon wieder etwas Falsches zu sagen. Stattdessen versuchte sie, ihn zu sich zu winken.
    Er ließ seine Suppenschale stehen, kam zu ihr und kniete sich vor sie. »Hat sie einen Wunsch? Schmeckt ihr die Suppe nicht?«
    Fina schüttelte den Kopf. »Doch, es ist alles bestens.« Sie legte die Hand auf seine Schulter und stand auf. »Bleib hier!« Hastig holte sie seine Schale und drückte sie ihm in die Hand. »Wir essen zusammen.« Sie setzte sich wieder auf die Felle und lächelte ihm zu. Schließlich nahm sie ihre Schale und probierte von der Suppe.
    Sie schmeckte vertraut! Fina hielt inne und ließ den Geschmack ganz langsam über ihre Zunge rinnen. Er hatte Salz und irgendwelche Kräuter hinzugefügt. Fremde Kräuter, die sie nicht identifizieren konnte und die ihr doch bekannt vorkamen. Es schmeckte, als wäre es ein Lieblingsgericht, das sie vor langer Zeit zum letzten Mal gegessen hatte, vor so langer Zeit, dass sie sich erst jetzt wieder daran erinnerte.
    Fina sah den Jungen erstaunt an. »Die Suppe ist gut. Wirklich! Danke dafür!«
    Endlich erwiderte er ihren Blick, für einen Moment, der länger war als alle Momente zuvor. Zum ersten Mal erkannte sie, wie schön seine Augen waren. Schwarzbraun wie das Moor, so tief und geheimnisvoll wie der Grundlose See. Die Spiegelung des Feuers schimmerte in der Weite seiner Pupillen.
    Sie hatte so viele Fragen an ihn. Woher kam er, und wer war er? Wie konnte er sich unsichtbar machen? Und warum musste sie jedes Mal durch das Moor, um ihn zu finden?
    Sie wollte ihn fragen, welchen Weg es gab, um wieder nach Hause zu gehen – aber noch dringender musste sie wissen, wie sie wiederkommen konnte. Weil sie bei ihm sein wollte. Um sein Vertrauen zu gewinnen. Um ihm zu zeigen, dass sie seine Freundin war und nicht seine Herrin.
    Er hielt ihrem Blick noch immer stand – und zum ersten Mal erkannte sie, dass etwas in seinen Augen leuchtete, das ungebrochen war. Ein waches, neugieriges Funkeln, kindlicher, gieriger Lebensmut, der sich über jeden Widerstand hinwegsetzte.
    Er mochte sich verneigen und ducken, mochte furchtbare Schläge erlitten haben, die lebenslang Narben auf seinen Rücken zeichneten. Aber er war zu stark, um sich brechen zu lassen.
    Ein warmes Kribbeln zog durch ihren Bauch. Sie wollte endlich seinen Namen erfahren. »Ich bin Fina.« Sie flüsterte. »Und du?«
    Sein Blick zuckte vor ihr zurück, blieb an dem Schälchen in ihren Händen hängen.
    Fina bereute ihre Worte. Was immer sie sagte, es war falsch. »Warum kann ich nicht mit dir reden, ohne dich zu verwirren? Ich möchte nur deinen Namen wissen.«
    Sein Mund bewegte sich, formulierte lautlose Sätze.
    Fina hauchte ihm zu: »Sag es lauter.«
    »Sie sagt …« Vorsichtig hob er den Kopf. »Sie sagt so seltsame Worte.«
    Fina fröstelte. Er hatte etwas Ähnliches schon mal gesagt, im Moor. »Welche Worte?«
    Wieder wich er ihrem Blick aus. »Sie sagt ›ich‹ und ›du‹ und …« Er verstummte.
    Fina stieß den Atem aus. »Du meinst …« Sie hielt inne. Sie hatte schon wieder »du« gesagt.
    Ihre Gedanken ratterten, trugen zusammen, was sie wusste. Er sprach in der dritten Person, er nannte sich selbst »es«. Aber wie konnte es sein, dass er die Worte »ich« und »du« nicht kannte? Es musste doch Menschen gegeben haben, die normal mit ihm gesprochen hatten.
    Fina biss sich auf die Unterlippe, musste sich konzentrieren, um so zu sprechen, dass er sie sicher verstand: »Es meint, es kennt diese Worte nicht?«
    Er sah überrascht auf. »Ja.«
    »Dann hat noch nie jemand ›du‹ zu ihm gesagt?«
    »Nein.« Er flüsterte. »So wie sie sprach noch niemand mit ihm.«
    Fina starrte ihn an. In welcher Welt war er aufgewachsen? In welcher Zeit? Bei welchen Leuten? Ihre ganze Phantasie wollte auf einmal über sie herfallen und hinterließ dennoch nichts, mit dem sich die Fragen beantworten ließen.
    Sie musste ganz von vorne anfangen. Nur wenn sie ihn nicht noch mehr verschreckte, konnte sie vielleicht erfahren, was mit ihm los war. »Ihr Name ist Fina.« Sie räusperte sich, versuchte, dem Blick des Jungen zu begegnen. »Und wie ist sein Name?«
    Tatsächlich sah er zu ihr auf. Seine Lippen bewegten sich vorsichtig, schienen das Wort auszuprobieren, bevor er es aussprach: »Mora.«

10. Kapitel
    F ast die ganze Nacht lang

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