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Der geheime Name: Roman (German Edition)

Der geheime Name: Roman (German Edition)

Titel: Der geheime Name: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Winterfeld
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saß Mora an der Wand seiner Erdhöhle und wachte über das Weibchen. Er hatte ihr sein Lager überlassen und sich selbst einen Schlafplatz auf dem Boden hergerichtet. Er war es gewohnt, auf der harten Erde zu schlafen. Doch seine neue Herrin verwirrte ihn zu sehr, als dass er Schlaf finden könnte.
    Immerzu musste er ihr Gesicht betrachten. Es war noch so schön wie an jenem Nachmittag, als er sie vor ihrer Behausung beobachtet hatte, vielleicht wurde es sogar noch schöner, je länger er sie ansah. Ihre Haut schimmerte in einem warmen Hellbraun, und ihre Haare leuchteten in der Farbe der Sonne. Er wollte sich über sie beugen und die seltenen Blumen riechen, nach denen sie duftete.
    Aber es stand ihm nicht zu, sich etwas zu wünschen. Sie war seine Herrin. Und er war nichts als ihr Diener.
    Am Tag hatte er sie gefürchtet. Schon mit ihrem ersten Satz hatte er erkannt, dass sie von nun an über ihn bestimmte. Sie forderte von ihm, stellte ihm Fragen und wurde nachdrücklich, wenn er nicht gehorchte. Dabei klangen manche ihrer Worte so fremd, dass er ihre Anweisungen kaum verstand.
    Doch jetzt, da sie schlief, da sie so hilflos vor ihm lag, schlich sich ein anderes Bild vor seine Augen: Er sah ihren schmalen Körper wieder vor sich, die geheimnisvollen Wölbungen ihrer Brust und das winzige Kleidungsstück, das sie darüber trug. Seine Finger konnten die Weichheit ihrer Haut nicht vergessen. Sie wollten mehr davon, wollten das Fell über ihrem Körper zurückschlagen, um sie noch einmal zu berühren.
    Mora zog hastig die Beine an seinen Oberkörper, hielt sie mit geballten Fäusten fest, um es nicht zu tun. Solche Gedanken waren ihm nicht erlaubt! Falls sein Herr davon erfuhr, würde er ihn hart bestrafen.
    Doch die Herrin war anders. Vielleicht war das das Verwirrendste von allem: die Momente, in denen sie ganz leise wurde. Sie lächelte ihn an und ließ den Klang ihrer Stimme durch sein Inneres rieseln. In einem solchen Moment hatte sie ihren Namen verraten, und er hatte seinen genannt.
    Mora wusste nicht, was es bedeutete. Namen waren etwas Machtvolles. Jedes Mal, wenn der Herr ihn Morasal nannte, war es unmöglich, seinen Befehlen auszuweichen, so als wäre es eine Zauberformel, mit der er seinen Diener beherrschte. Wahrscheinlich wollte seine neue Herrin ihm jetzt auf die gleiche Weise befehlen.
    Doch warum hatte sie ihren Namen genannt? Bedeutete das, dass er die gleiche Macht über sie ausüben könnte?
    Mora war immer davon ausgegangen, dass nur Diener einen Namen bekamen, damit sie sich unterwerfen ließen. Aber wenn er genau darüber nachdachte, dann hatte der Herr seinen Namen womöglich einfach nur geheim gehalten.
    Vielleicht gab er sich deshalb diesen Titel: der Geheime.
    Mora sog die Luft ein, lehnte den Kopf gegen die Höhlenwand und betrachtete das Gesicht des Weibchens. Was würde passieren, wenn er ihren Namen aussprach? Vielleicht war es ein Test, ein Vertrauensbeweis? Dass er ihren Namen kannte und ihn dennoch niemals über die Lippen bringen durfte. Und wenn er es doch wagte, stellte sich heraus, dass es ein falscher Name war und dass sie ihn dafür tötete.
    Doch sie war nicht wie sein Herr. Mora glaubte nicht, dass sie ihm eine solche Falle stellen würde.
    Sein Herr! Eine Falle? Wusste der Geheime, dass das Weibchen bei ihm war?
    Ohne es zu wollen, blickte Mora zum Eingang der Höhle. Wäre es möglich, dass der Herr hier hereinkäme? Wenn er sich tarnte, bevor er seinen Diener aufsuchte – würde Mora ihn dann bemerken?
    Unruhe flammte in ihm auf. Der Herr durfte nicht herkommen, solange das Weibchen hier war. Er durfte nicht wissen, dass eine fremde Herrin in sein Revier eingebrochen war. Mora wusste nicht, wessen Macht größer war – die des Weibchens oder die des Geheimen, aber er musste auf jeden Fall verhindern, dass sie aufeinanderprallten!
    Mora sprang auf und lief zum Ausgang, kroch durch den Tunnel und schlüpfte durch den Ausstieg in den nachtdunklen Wald. Die kalte Luft streifte seine Haut, brachte ihn zum Schaudern, während er sich in der Dunkelheit umsah.
    Der Geheime war hier gewesen! Mora konnte ihn nicht sehen, aber er wusste es, spürte es an der Art, wie sich die Härchen an seinem Rücken aufstellten. Sie erinnerten ihn an den Schmerz, an die Angst, an die unausweichliche Macht, die ihm befahl.
    Der Herr war hier gewesen. Was hatte er gewollt? Wusste er bereits, dass das Weibchen bei seinem Diener war? War er womöglich in der Höhle gewesen und hatte sie

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