Der geheime Vortrupp – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Inspektor-Appleby-Serie (German Edition)
weiter und ihre Geschichte erzählen. Harry McQueen hatte seine klaren Augenblicke; wenn es ihr gelang, ihn von Simon Lord Lovat und dem schändlichen Grafen von Buchan abzubringen, konnte er ihr vielleicht genau sagen, wo sie jetzt standen. Zunächst sah sie sich um. Im Nordwesten war das Moorland zu erkennen, durch das die Bahnlinie führte. Jenseits des Tals und am anderen Ende des Waldes stieg der Rauch von den Herdfeuern des Dorfes auf, zu dem Harry die Verfolger geschickt hatte. Und im Südwesten, wo die Hügel, in die dieser Beobachtungsposten geschlagen war, zur Ebene ausliefen, war etwas, das wie eine Hauptstraße aussah. Sie war ganz von Kiefernwäldern gesäumt; es sollte möglich sein, sie zu erreichen und im verborgenen zu bleiben, bis etwas kam, von dem Hilfe zu erhoffen war.
»Aber willst du nicht hereinkommen in die gute Stube, Kind?« Der Alte rief sie in die kleine Höhle, und als sie sich wieder zu ihm umdrehte, knotete er eben sein Bündel auf. Als alles ausgebreitet war, erhob er sich, tastete sich vor bis zu dem Rinnsal und wusch sich die Hände. Dann kehrte er zurück, suchte einen Moment lang und reichte Sheila eine Serviette aus feinem Leinen, gebügelt und makellos sauber. Er suchte noch einmal und stellte ihr eine Dose mit Haferkeksen hin, einen kleinen Käse und einen Laib Brot.
Er breitete die offenen Hände darüber – eine Geste, mit der er ihr die Mahlzeit anbot. »Der Herr hat’s gegeben«, sagte er. »Nimm, was du brauchst, Kind.«
Kapitel 15
Eine Höhle für zwei
Sheila nahm alles; sie aß bedachtsam und genoß jeden Bissen, und Harry McQueen schnitt Scheibe um Scheibe von seinem Brot und von seinem Käse ab. Es mochte sein Proviant für Tage sein, und in gewissem Sinne teilte sie ihn unter Vorspiegelung falscher Tatsachen mit ihm – als Flüchtling vor Sir John Cope und dem Schlächter Cumberland. Sie mußte ihm danken, so gut sie konnte. »Harry«, sagte sie, als sie auch den letzten Haferkeks gegessen hatte, »darf ich eure Gedichte lesen?«
Er hatte die papiergebundenen Bändchen aus seinem Bündel genommen und in einem ordentlichen Stapel abgelegt; nun nahm er eines und reichte es ihr. »Bedenke, Kind, ich bin ein alter Mann aus unwissender Zeit, der nie bei Plato und Aristoteles in die Schule ging. Aber die Verse, wie sie sind, habe ich selbst gemacht, und sie gehören dir, wenn du sie willst.«
Sheila schlug das Buch auf. Es kam ihr bekannt vor. Jetzt erinnerte sie sich wieder an den billigen Satz aus einer kleinen Zeitungsdruckerei im Norden, die so eifrige literarische Art, die sentimentalen schottischen Standardthemen, bei denen hie und da zwischen den Zeilen ein echteres Gefühl durchklang. Zwanzig Jahre gab es das Buch nun schon, und wenige, die es kauften, lasen es; Leute ließen es auf den Sitzen der ersten Klasse liegen, lasen lieber ihre billigen Zeitschriften, wickelten Bananenschalen darin ein oder wischten beschlagene Fenster damit ab. Sheila las leise, überflog die Zeilen; dann suchte sie eine Strophe aus und las sie laut.
Des Todgeweihten Kutsche fuhr bergan
Blieb steh’n, und bei dem sanften Klang
Des Flusses grüßt Sir Walter matt
Ein letztes Mal
Von fürderhin geweihter Statt
Sein Heimattal.
»Das sind gute Verse, Harry.«
»Kind, ich weiß, sie sind nur Staub und vergänglich, nicht anders als die Spitzen und Bänder, die andere meinesgleichen feilbieten. Aber ich finde auch, schlecht sind sie nicht, und höre gern, daß sie dir gefallen.« Er lächelte milde. »Es denkt doch jeder Dichter, daß er, was ihm von Herzen kommt und am Herzen liegt, zu billig hergibt – selbst für einen Shilling, Kind, oder eine halbe Krone von denen, die es eilig haben.«
Er erhob sich und begann, die Überreste ihres Mahles einzusammeln.
Und Sheila ging mit dem Buch wieder hinaus zu dem Felsbrocken auf dem Plateau und las weiter. Zehn Minuten Erholung würde sie sich gönnen, dann mußte sie überlegen, wie es weiterging. Ein Gedicht über Burns. Noch ein Gedicht über Sir Walter Scott. Ein Gedicht über Rob Roy … Sie blätterte vor zum Ende des Bändchens. Eine Ode , las sie, an die Naturschönheit des schottischen Hochlands .
Du Land der Felsen, Wolken, Berg und Tal,
Du karges Heideland, wo Wasser tief
Ins Tal sich stürzt, tosender Wasserschwall,
Von steilem Felsmassiv!
Ich preise deiner Schönheit Wohlgestalt
Dem Schäfer gleich, der aus der Ferne wird gewahr,
Wenn Wolkenmassen hoch am Himmel groll’n,
Drohend am Abhang des Glas
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