Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
Mädchenschar treibt sich unter fadenschein i gen Vorwänden draußen herum, um einen Blick auf ihn zu erhaschen. Ich schließe die Tür hinter mir, um Tom von der Herde seiner B e wunderinnen abzuschneiden, bevor mir übel wird.
»Sieh an, mein dickköpfiges Schwesterlein, wenn ich nicht irre!«, sagt Tom, sich erhebend. »Hast du schon eine passe n de Frau für mich gefunden? Ich bin nicht wählerisch –ei n fach nur eine Hübsche, Stille, mit einem kleinen Ve r mögen und ihren eigenen Zä h nen im Mund. Eigentlich bin ich in allen Punkten flexibel, ausgenommen das kleine Verm ö gen. Es sei denn, es handelt sich um ein großes, n a türlich.«
Irgendwie erfüllt es mich mit einem warmen, wo h ligen Gefühl der Freude, Tom, den zuverlässigen, versnobten, oberflächlichen Tom, zu sehen. Mir war nie klar gewesen, wie sehr ich ihn vermisste. Ich umarme ihn fest. Er ve r steift sich einen Moment, dann drückt auch er mich an sich.
»Die müssen dich ja wie einen Hund behandeln, wenn du dich so freust, dass ich hier bin. Ich muss sagen, du siehst gut aus.«
»Es geht mir gut, Tom. Ehrlich.« Ich möchte ihm so gern von Mutter erzählen, aber ich weiß, dass das nicht möglich ist.
Noch nicht. »Hast du etwas von Großmutter g e hört? Wie geht es Vater?«
Toms Lächeln schwindet. »Doch, ja. Sie sind wohlauf.«
»Wird er zum Familientag kommen? Ich kann es kaum erwarten, ihn wiederzusehen und ihn allen meinen Freu n dinnen hier vorzustellen.«
»Nun, darauf würde ich lieber nicht bauen, Gemma. Es könnte sein, dass er nicht wegkann.« Tom richtet seine Manschetten. Ein Zeichen von Nervosität. Ich habe festg e stellt, dass er das immer dann macht, wenn er lügt.
»Ich verstehe«, sage ich ruhig.
Jemand klopft an die Tür. Es ist Ann, die hereinstürmt und überrascht innehält. Sie ist schockiert, dass ich mit e i nem Mann allein im Empfangszimmer bin, und wendet den Blick ab. »Oh, es tut mir schrecklich leid. Ich wollte Gemma, ich meine Miss Doyle, nur wissen lassen, dass jetzt unsere Übung s stunde im Walzertanzen beginnt.«
»Ich kann jetzt nicht. Ich habe Besuch.«
Tom steht erleichtert auf. »Du sollst meinetwegen das Walzertanzen nicht vernachlässigen. Was ist mit Ihnen, fühlen Sie sich nicht wohl?«, fragt er mit e i nem schiefen Blick auf Ann, die immer noch betr e ten dreinschaut.
»Oh, um Himmels willen«, murmle ich lautlos, als es mir einfällt. »Miss Ann Bradshaw, darf ich vo r stellen, Mr Thomas Doyle. Mein Bruder. Ich begleite ihn nur hinaus, dann können wir uns an unser ve r dammtes Walzertanzen machen.«
»Das war dein Bruder?«, fragt Ann schüchtern, wä h rend ich sie im Walzerschritt durch den Ballsaal b e wege.
»Ja. Ein echtes Scheusal.« Ich bin noch immer ziemlich erschüttert über die Nachricht vom Zustand meines Vaters. Ich hatte gehofft, es ginge ihm inzw i schen besser.
»Er scheint sehr freundlich zu sein.« Ann tritt mir auf beide Füße und ich zucke vor Schmerz zusa m men.
»Tom? Hal Er macht nur den Mund auf, um a n zugeben. Er ist von einer unerträglichen Selbstgefä l ligkeit. Das Mädchen, das ihn bekommt, kann einem leidtun.«
»Trotzdem finde ich ihn sehr nett. Ein richtiger Gentl e man.«
Gütiger Himmel. Sie hat sich in meinen Bruder ve r guckt. Es ist so lächerlich, dass es gleichzeitig fast zum Weinen ist, wie eine schwarze Komödie.
»Ist er … verlobt?«
»Nein. Anscheinend kann sich niemand mit seiner ersten Liebe messen.«
Ann macht ein enttäuschtes Gesicht. Sie bleibt abrupt, o h ne Vorwarnung stehen und verrenkt mir fast den Arm. »Oh?«
»Mit ihm selbst.«
Es dauert eine Weile, bis sie den Scherz kapiert, aber dann lacht sie und bekommt wieder einen roten Kopf. Ich habe nicht das Herz, ihr zu sagen, dass Tom eine reiche Frau sucht, die dazu auch noch hübsch ist, und dass Ann überhaupt keine Chance hat. Wenn er sie nur so hören und sehen könnte, wie sie im Magischen Reich ist. Es ist zum Wahnsinni g werden, dass all das, wozu wir dort fähig sind –all die Kraft, die wir besitzen –, einstweilen auch dort ble i ben muss.
»Ich kann keinen Schritt mehr mit dir tanzen, sonst we r de ich für eine Woche grün und blau sein.«
»Du bist diejenige, die aus dem Rhythmus g e kommen ist«, schimpft Ann, während sie mir hinaus in den Gang folgt.
»Und du kannst meine Füße nicht vom Fußboden unte r scheiden.«
Ann will etwas erwidern, aber da taucht Felicity auf und stürzt uns entgegen. Sie schwenkt ein Blatt Papier
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