Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
erwache ich in einer Wüste unter einem Vollmond. Dünen heben und senken sich wie Atem. Mein Fuß versinkt. Ich tauche in den wa r men goldenen Sand ein. Er ist weich wie Haut. Wie Ka r tiks Haut. Sein Körper erstreckt sich unter mir wie eine weite Ebene. Kartik fühlt sich an wie ein Land, durch das ich re i sen möchte –unermesslich groß, g e fährlich und unbekannt. Als wir uns küssen, falle ich wieder, zurück auf den Ber g gipfel, wo Felicity, Pippa und Ann stehen, von ihren eig e nen Reisen z u rückgekehrt. Gleichzeitig kommt es mir vor, als hätte ich diesen Platz nie verlassen. Wir lächeln eina n der an. Unsere Fingerspitzen berühren sich. Wir fassen uns an den Händen. Dann der Schimmer eines ve r glimmenden weißen Lichts. Und dann nichts mehr.
»Gemma, wach auf.« Ann rüttelt mich sanft. Unser Zi m mer nimmt allmählich Kontur an –die D e cke, das graue Licht am Fenster, der abgetretene hölzerne Fußboden. U n deutliche Erinnerungen an die verga n gene Nacht stellen sich ein –das Magische Reich, die Kristalle, der seltsame Gesichtsausdruck der J ä gerin, hinterher dann unser hastiger Rückweg von der Hö h le –doch das meiste verschwimmt in dem Nebel in meinem Kopf. Ich habe jedes Zeit - und Raumgefühl verloren.
»Wie spät ist es?«, murmle ich.
»Zeit fürs Frühstück.«
Das kann nicht sein, denke ich, während ich mich am Kopf kratze.
»Ist es aber«, antwortet sie.
Das ist merkwürdig. »Woher wusstest du, was ich de n ke?«, frage ich.
»Ich weiß es nicht«, sagt sie und schaut mich mit großen Augen an. »Ich hörte es in meinem Kopf.«
»Die Magie …« , sage ich, mich senkrecht im Bett au f setzend.
Felicity und Pippa stürmen herein.
»Schaut euch mein Kleid an«, sagt Pippa grinsend. Am Saum des Kleides ist ein großer Grasfleck.
»Pech für dich, Pip«, sage ich.
Sie grinst weiter wie eine Schwachsinnige. Sie schließt die Augen und im Nu ist der Fleck ve r schwunden.
»Unglaublich«, sagt Ann erstaunt.
Pippa grinst noch mehr. Sie dreht ihren Rock hin und her, hält ihn ins Licht.
»Also haben wir es geschafft«, sage ich. »Wir h a ben die Magie aus dem Magischen Reich herausg e holt.« Und alles ist wunderbar.
Ich bin in rekordverdächtiger Zeit angezogen. Wir schw e ben durch den Gang und die Treppe hinunter, schwerelos wie Blätter im Wind, flüstern einander halbe Sätze zu, die irgendwie in unseren Köpfen vollendet werden. Wir sind so aufgeregt über unsere Entdeckung, dass wir nicht aufh ö ren können zu k i chern.
In einer Nische unter der Treppe steht eine Amo r statue.
»Wartet. Ich möchte mir einen kleinen Spaß erla u ben«, sagt Pippa. Sie schließt die Augen, wedelt mit den Händen über dem Knaben aus Gips und schon wachsen diesem ziemlich große Brüste.
»Oh, das ist scheußlich, Pip!«, sagt Felicity. Wir biegen uns vor Lachen.
»Stellt euch vor, was für ungeahnte Möglichke i ten!«, ruft Pippa beinahe hysterisch.
Brigid kommt mit resoluten Schritten den Gang entlang auf uns zu.
»Himmel, bring das schnell wieder in Ordnung!«, flüst e re ich. Hastig versuchen wir, das Ding zu ve r stecken.
»Ich kann ’ s nicht unter Druck!«, sagt Pippa in P a nik.
»He, was ist das für ein Höllenspektakel?« Brigid stemmt die Hände in die Hüften. »Was habt ihr da? Geht zur Seite und lasst mich sehen!«
Widerwillig gehorchen wir.
»Was in aller Welt ist das?« Brigid hält die Stat u ette der hässlichsten Cancantänzerin auf Gottes Er d boden, vormals ein Amor mit Brüsten, hoch.
»Es ist das Neueste aus Paris«, sagt Felicity gela s sen.
Brigid stellt das Ding in die Nische zurück. »G e hört auf den Müllhaufen, wenn ihr mich fragt.«
Sie setzt ihren Weg fort und wir kichern wieder.
»Es war das Beste, was ich zustande gebracht h a be«, sagt Pippa. »Unter den gegebenen Umständen.«
Alle Köpfe wenden sich uns zu, als wir den Frühstück s raum betreten und an dem langen Tisch Platz nehmen. C e cily kann nicht aufhören, Ann anzusta r ren.
»Ann, hast du dich etwa geschminkt?«, fragt sie zw i schen zwei Bissen Speck. Weil wir zu spät ko m men, gibt es für uns nur noch Porridge.
»Wo denkst du hin?«, antwortet Ann.
»Oder vielleicht hast du eine andere Frisur?«
Ann schüttelt den Kopf.
»Nun, was auch immer, jedenfalls ist es eine Verbess e rung.« Die anderen kichern. Cecily wendet sich wieder i h rem Speck zu.
Felicity legt klirrend ihren Löffel nieder. »Du bist ä u ßerst
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