Der geheime Zirkel 02 - Circes Rueckkehr
»Vielleicht sollten wir lieber wieder zurückgehen. Bestimmt hat man uns schon ve r misst.«
»Dann werden wir sagen , wir waren in der Garderobe , um einen Riss in deinem Kleid reparieren zu lassen« , sagt Felic i ty. »Ich möchte den Absinth probieren.«
Ich möchte den Absinth nicht probieren. Na ja , ein bisschen vielleicht –wenn ich wüsste , wie er wirkt. Ich fürchte mich davor zu bleiben , aber ich will auch nicht gehen und zulassen , dass Felicity und Simon diese Erfa h rung allein machen.
»Ich möchte ihn auch probieren« , krächze ich.
»Echte Abenteuerlust« , sagt Simon und lächelt mich an. »Das ist es , was ich liebe.«
Er greift noch einmal in den Hohlraum und fördert e i nen flachen , eingekerbten Löffel zutage. Er gießt aus e i nem Krug ein halbes Glas Wasser ein. Dann stellt er das Glas auf de n T isch und legt den seltsamen Löffel über die Öffnung des Glases. Aus seiner Tasche holt er ein Stück Würfelzucker hervor , das er auf den Löffel legt.
»Wozu ist das?« , frage ich.
»Um ihm den bitteren Wermutgeschmack zu ne h men.«
Dick wie Baumharz , grün wie Sommergras fließt der A b sinth über den Zucker und löst ihn allmählich auf. Im Glas findet ein erstaunlicher chemischer Prozess statt. Das Grün verwandelt sich wirbelnd in ein milchiges Weiß. Es ist fasz i nierend.
»Wie geschieht das?« , frage ich.
Simon holt eine Münze aus seiner Tasche , schließt die Fi n ger darum und zeigt mir seine leere Hand. Die Münze ist ve r schwunden. »Durch Magie.«
»Dann wollen wir doch mal sehen , ob das stimmt« , sagt F e licity und greift nach dem Glas. Simon kommt ihr z u vor und reicht es mir.
»Zuerst die Damen« , sagt er.
Felicity schaut drein , als wollte sie ihm ins Gesicht sp u cken. Es ist gemein , sie so zu reizen , aber ich kann nicht a n ders. Es verschafft mir eine tiefe Befriedigung , ihr vorgez o gen zu werden. Mit zitternder Hand nehme ich das Glas. Halb erwarte ich , durch dieses seltsame G e tränk in einen Frosch verwandelt zu werden. Sogar der Geruch ist berauschend , wie Lakritze gewürzt mit Mu s katnuss. Ich nehme einen Schluck und spüre , wie er in meiner Kehle brennt. Kaum habe ich das Glas abgesetzt , entreißt Felicity es mir und trinkt ihren Anteil. Sie reicht es an Ann weiter , die den allerkleinsten Schluck nimmt. Zuletzt geht das Glas an Simon , der trinkt und es wi e der mir reicht. Das Glas macht noch dreimal die Runde , bis es geleert ist.
Mit seinem Taschentuch wischt Simon die letzten Absint h tropfen aus dem Glas und verstaut es wieder hinter dem Buch für eine spätere Gelegenheit. Er rückt näher zu mir. Felicity drängt sich zwischen uns und packt mein Handgelenk.
»Danke , Simon. Und jetzt sollten wir wohl am besten die Garderobe aufsuchen , um der Wahrheit die Ehre zu geben« , sagt sie mit einem schadenfrohen Glitzern im Auge.
Simon ist nicht glücklich , das sehe ich. Aber er ve r beugt sich und lässt uns gehen.
»Ich fühle mich nicht viel anders« , sagt Ann , als wir in der Garderobe stehen , uns Luft zufächeln und die Dienstmädchen nach nicht vorhandenen Rissen in uns e ren Kleidern suchen lassen.
»Weil du nur einen winzigen Schluck getrunken hast« , flü s tert Felicity. »Ich fühle mich herrlich.«
In meinem Kopf ist eine angenehme Wärme , eine Leichti g keit , die mir das Gefühl gibt , alles sei gut und mir könne nichts Schlimmes geschehen. Ich lächle Felic i ty zu. Mein Groll ist vergessen und ich genieße die Hei m lichkeiten , die uns verbinden. Wie kommt es , dass man an manchen G e heimnissen fast erstickt , während uns andere so fest zusa m menschweißen , dass wir uns nie mehr trennen möchten?
»Du siehst wunderschön aus« , sagt Felicity. Ihre Pupi l len sind groß wie Monde.
»Du auch« , sage ich. Ich kann nicht aufhören zu l ä cheln.
»Und was ist mit mir?« , fragt Ann.
»Ja« , sage ich und fühle mich von Sekunde zu Sekunde schwereloser. »Tom wird dir unmöglich widerstehen können. Du bist eine Prinzessin , Ann.« Das Dienstmä d chen , das sich meinem Kleid widmet , hebt kurz den Blick , bevor sie ihre Arbeit wieder aufnimmt.
Als wir in den Ballsaal zurückkehren , scheint der Raum verwandelt. Die Farben sind tiefer , die Lichter nebelha f ter. Die grüne Fee schmilzt zu flüssigem Feuer , das durch meine Adern rast , sich verbreitet wie Klatsch , wie von tausend E n gelsflügeln getragen. Der Raum um mich verschwimmt lan g sam in einen wunderschönen Schleier aus Farbe ,
Weitere Kostenlose Bücher