Der geheime Zirkel 02 - Circes Rueckkehr
allein mit Simon. Er küsst mein bloßes Handgelenk. Wir sollten nicht hier sein. Sollten nicht.
»Ich … ich will zurück.«
»Schhh , Gemma.« Er zieht meinen Handschuh aus. Meine nackte Haut fühlt sich so seltsam an. »Meine Mu t ter mag Sie. Wir würden ein glänzendes Paar abg e ben , denken Sie nicht?«
Denken? Ich kann nicht denken. Er fängt an , den zwe i ten Handschuh auszuziehen. Mein Körper bäumt sich , erstarrt. Oh Gott , es geschieht. Es geschieht. Über Simons gewölbten R ü cken hinweg sehe ich den Raum flimmern , fühle , wie mein Körper sich unter der Vision , die ich nicht abwehren kann , spannt. Das Letzte , was ich höre , ist Simons besorgtes »Gemma , Gemma!«. Und dann falle ich , falle und falle in das schwarze Loch.
Da sind drei Mädchen in Weiß. Sie schweben direkt hinter Simon. » Wir haben ihn gefunden. Wir haben den Tempel g e funden. Komm , u nd sieh …«
Ich folge ihnen im Laufschritt durchs Magische Reich , auf den Gipfel eines Berges. Ich kann Schreie hören. Wir gehen schnell. Der Berg verschwindet und vor mir steht die her r lichste Kathedrale , die ich je gesehen habe. Sie flimmert wie eine Fata Morgana. Der Tempel.
»Beeil dich …« , flüstern die Mädchen. »Bevor sie ihn fi n den.«
Hinter ihnen ballen sich dunkle Wolken zusammen. Der Wind weht ihr Haar um ihre blassen , umschatteten Gesichter. Irgendetwas kommt. Irgendetwas steigt hinter ihnen auf. Es erhebt sich und ragt über ihnen empor wie ein dunkler Phönix. Ein riesiges geflügeltes Ungeheuer. Die Mädchen schauen nicht , sie sehen es nicht. Aber ich sehe es. Es spannt seine Flügel , bis sie den Himmel ausfüllen und ihr grausiges Inn e res enthüllen , eine brü l lende Masse verzweifelter Gesichter.
Und dann schreie ich.
»Gemma! Gemma!« Es ist Simons Stimme , die mich z u rückruft. Seine Hand liegt auf meinem Mund , um mein Schreien zu ersticken. »Es tut mir leid. Das wollte ich nicht.«
In Windeseile reicht er mir meine Handschuhe zurück. Es dauert einen Moment , bis ich mich im Zimmer z u rechtfinde. Dann merke ich , dass Simon meine nackten Schultern geküsst hat und dass er denkt , ich hätte de s halb geschrien. Ich bin noch immer benebelt von dem Getränk , aber jetzt spüre ich Übelkeit in mir aufsteigen. Ich erbreche mich in die Wasc h schüssel des Dienstmä d chens. Simon bringt mir rasch ein Handtuch.
Ich fühle mich elend und mein Kopf schmerzt. Ich zi t tere am ganzen Körper , sowohl von der Vision als auch von dem , was zwischen uns geschehen ist.
»Soll ich nach jemandem schicken?« , fragt Simon. Er steht in der Tür und kommt nicht näher.
Ich schüttle den Kopf. »Nein , danke. Ich möchte zurück zum Ball.«
»Ja , sofort« , sagt Simon und es klingt zugleich besorgt und erleichtert.
Ich möchte ihm alles erklären , aber wie kann ich? Also g e hen wir schweigend die Treppen hinunter. Im ersten Stock verlässt er mich. Die Glocke läutet zum Abende s sen und ich schließe mich einfach den anderen Damen an.
Das Abendessen zieht sich lange hin und allmählich , mit dem Essen und mit der Zeit , komme ich wieder zu mir. Simon ist nicht zur Mahlzeit erschienen , und je kl a rer mein Kopf wird , umso größer wird meine Verwi r rung. Es war dumm von mir , den Absinth zu trinken , dumm , mit ihm allein wegzug e hen. Und dann diese entsetzliche Vision! Aber für einen A u genblick habe ich den Tempel gesehen. Ich habe ihn gesehen. Er war in Reic h weite. Es ist nicht der größte Trost , den mir diese Nacht beschert hat , aber es ist ein Trost und ich werde daran festhalten.
Mr Worthington bringt einen Toast auf Weihnachten aus. Ann wird vorgestellt und gebeten zu singen. Sie tut es und die versammelte Gesellschaft applaudiert , ni e mand lauter als Tom , der »Bravo!« ruft. Die Gouvernante hält die schläfrige Polly an der Hand , die ihre Puppe an sich drückt.
Admiral Worthington zwinkert der Kleinen zu. »Komm , setz dich auf mein Knie , Kind. Bin ich dein li e ber Onkel , oder etwa nicht?«
Polly klettert auf seinen Schoß und lächelt schüchtern in die Runde. Felicity sieht mit grimmig geschlossenem Mund z u. Ich kann nicht glauben , dass sie so kindisch ist , auf ein kleines Mädchen eifersüchtig zu sein. Warum tut sie solche Dinge?
»Wie? Ist das alles , was freundliche Onkel heutzutage spendiert bekommen? Gib deinem Onkel einen richtig sch ö nen Kuss.«
Die Kleine windet sich ein bisschen. Ihre Augen fliegen von einem zum anderen. Alle nicken ihr
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