Der geheime Zirkel 02 - Circes Rueckkehr
meine Mutter« , erklärt der junge Mann. »Ich bin hier , um sie vom Zug abzuholen.«
»Oh« , sage ich.
Wir treten verlegen von einem Fuß auf den anderen. Ich weiß nicht , was ich sagen oder tun soll. Soll ich we i ter wie ein Idiot stehen bleiben oder soll ich den letzten Rest meines Stolzes retten , ihm einen schönen Tag wünschen und mir e i nen Platz suchen , wo ich mich verst e cken kann , bis mein Bruder kommt?
Ich öffne den Mund , um Auf Wiedersehen zu sagen , im selben Moment streckt er mir seine Hand hin.
»Ich bin Simon Middleton. Oh , tut mir schrecklich leid. Was wollten Sie gerade sagen?«
»Oh , ich , ich wollte nur … Guten Tag.«
Wir schütteln einander die Hände.
»Guten Tag , Miss …? «
»Oh , verzeihen Sie , ich bin …«
»Gemma!« Mein Name ist nicht zu überhören. Tom ist en d lich gekommen. Hut in der Hand , mit dieser blödsi n nigen Locke , die ihm in die Augen fällt , eilt er im Lau f schritt auf uns zu. »Ich dachte , du hättest Paddington Station gesagt.«
»Nein , Thomas« , sage ich mit einem gezwungenen L ä cheln. »Ich habe ausdrücklich Victoria Station g e sagt.«
»Du irrst dich. Du hast Paddington Station gesagt!«
»Mr Middleton , darf ich Ihnen meinen Bruder , Mr Thomas Doyle , vorstellen. Mr Middleton war so freun d lich , mit mir zu warten , Thomas« , sage ich spitz.
Toms Gesicht wird blass. Wenn er sich beschämt fühlt , de s to besser.
Simon grinst breit. »Schön , Sie zu sehen , Doyle , alter Ju n ge.«
»Master Middleton« , sagt Thomas und reicht ihm die Hand. »Wie steht das Befinden von Viscount und Lady Denby?«
»Meine Eltern befinden sich wohlauf , danke.«
»Sie kennen einander?« , frage ich.
»Wir waren zusammen in Eton« , sagt Simon. Demnach ist Simon –Seine Hochwohlgeboren Simon Middleton –im A l ter meines Bruders , also neunzehn. Nun , nachdem ich meinen Schreck verdaut habe , sehe ich , dass Simon gut aussieht , mit braunem Haar und blauen Augen. »Ich hatte keine Ahnung , dass Sie eine so charmante Schwester h a ben.«
»Ich auch nicht« , sagt Tom. Ich nehme seinen Arm , aber so , dass ich ihn an der Innenseite kneifen kann , ohne dass Simon es sieht. Als Tom aufstöhnt , fühle ich mich gleich be s ser. »Ich hoffe , sie hat Ihnen keine Umstände gemacht.«
»Ganz und gar nicht. Sie stand unter dem Eindruck , jemand habe sie verfolgt. Ein Mann in einem schwarzen Mantel und mit einer , was war ’ s noch? Einer hässlichen Narbe auf seiner linken Wange.«
Ich komme mir unheimlich dumm vor.
Eine Röte steigt in Toms blasses Gesicht. »Ach ja. Die b e rühmte Doyle ’ sche Einbildungskraft. Wäre nicht verwunde r lich , wenn sie einmal Schreiberin von romantischen Schaue r romanen wird , unsere Gemma.«
»Es tut mir leid , dass ich Sie belästigt habe« , sage ich.
»Ganz im Gegenteil. Es war für mich das aufregendste E r lebnis des heutigen Tages« , sagt Simon Middleton mit einem so gewinnenden Lächeln , dass ich es ihm glaube. »Und damit haben Sie mir sehr geholfen« , sagt er und hält das Samtkäs t chen hoch. »Unsere Kutsche steht gleich da draußen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht zu warten , können Sie gerne mit uns fahren.«
»Wir sind mit unserer eigenen Kutsche hier« , sagt Tom blasiert.
»Selbstverständlich.«
»Ihr Angebot war sehr großzügig , vielen Dank« , sage ich. »Auf Wiedersehen.«
Simon Middleton macht etwas vollkommen Unerwa r tetes und Kühnes. Er nimmt meine Hand und küsst sie galant. »Ich hoffe , wir sehen uns während der Feiertage wieder. Sie mü s sen zum Abendessen kommen. Ich werde dafür sorgen. Ma s ter Doyle , leben Sie wohl.« Er tippt sich betont schwungvoll an den Hut und Tom bedankt sich auf die gleiche Weise , als s eien sie alte Freunde , die schon zusammen Theater gespielt haben.
Simon Middleton. Ich kann es kaum erwarten , Ann und F e licity von ihm zu erzählen.
Außerhalb des Bahnhofs herrscht lautes , lebendiges Tre i ben , auf den Straßen wimmelt es von Pferden , O m nibussen und Menschen , die für einen Tag nach London gekommen sind , um einzukaufen oder sich zu vergnügen. Es ist ein ve r rücktes , fröhliches Bild und ich bin glücklich , Teil des pulsi e renden Herzens der Stadt zu sein. Vom Augenblick an , in dem mich die neblige Luft und das Läuten der Kirchenglocken begrüßen , fühle ich mich weltmännisch und geheimnisvoll. Ich könnte hier alles sein –eine Herzogin , eine Hexe oder eine Gangsterbraut. Wer wüsste das zu sagen? Immerhin
Weitere Kostenlose Bücher