Der geheime Zirkel 02 - Circes Rueckkehr
Münder bewegen sich , sie sprechen. Ich kann sie nicht hören. Ihre Augen sind traurig und u m schattet.
Schrei nicht , G emma. Es ist nur eine Vision. Sie kann dir nichts tun. Oder doch?
Sie sind so nahe , dass ich meinen Kopf wegdrehen und die Augen schließen muss. Mir ist schlecht vor Angst und von dem Geruch. Was ist es? Ich rieche das Meer und noch etwas. Verwesung.
Da ist dieses Geräusch wieder , wie das Sirren Tausender Insektenflügel. Die drei Mädchen sprechen so leise , dass es einen Moment dauert , bis ich ihre Botschaft ve r stehen kann , aber als ich sie erfasse , überläuft es mich eiskalt.
»Hilf uns.«
Ich will die Augen nicht öffnen , tue es aber trotzdem. Sie sind so nahe , diese flimmernden , hellen Dinger. Eine streckt eine Hand aus. Bitte. Bitte berührt mich nicht. Ich werde schreien. Ich werde schreien. Ich werde …
Ihre Hände sind wie Eis auf meiner Schulter , aber es ist keine Zeit zu schreien , weil mein Körper steif wird und ich nach unten gezogen werde. Bilder überfluten mein Bewuss t sein. Drei Mädchen hüpfen an schroffen Klippen entlang. Das Meer spritzt hoch , dünne Schaumspuren auf ihren Füßen z u rücklassend. Die Wolken ve r dunkeln sich. Ein Sturm. Eine Sturmflut ist im Anzug. Halt , da ist ein viertes Mädchen. Sie läuft zaghaft hinte r her. Jemand ruft nach ihnen. Eine Frau kommt daher. Sie trägt einen grünen Mantel …
Die zähflüssigen Stimmen der Mädchen dringen in mein Ohr. »Seht dort …«
Die Frau nimmt die Hand des vierten Mädchens. Und dann rast der Schrecken des Meeres auf uns zu. Der Himmel ve r finstert sich. Die Mädchen schreien.
Wir sind zurück im hell erleuchteten Flur. Die Mä d chen v erblassen , tauchen zurück in die Dunkelheit. »Sie lügt …«, flüstern die Mädchen. »Trau ihr nicht …« Und dann sind sie fort. Der Schmerz verschwindet. Ich knie auf dem kalten , harten Boden , allein. Die Kerze zischt plötzlich , versprüht einen mutwilligen Funken.
Damit ist das Maß voll. Ich springe auf die Füße und rase Hals über Kopf wie eine erschreckte Maus zurück in mein Zimmer. Ich atme erst auf , als ich die Tür fest hinter mir ve r schlossen habe –obwohl ich nicht sagen kann , was ich denn glaube , ausgesperrt zu haben. Ich zünde alle Lampen an. Als der Raum hell erleuchtet ist , fühle ich mich ein bisschen be s ser. Was für eine Art von Vision war das? Warum sind die Visionen so viel unmittelbarer geworden? Ist es , weil die M a gie frei ist? Macht sie das irgendwie dreister? Ich fühlte eine Hand auf meiner Schulter …
Hör auf , G emma. Hör auf , d ir selbst Angst zu machen.
Wer sind diese Mädchen und was wollen sie von mir? Was haben sie gemeint mit »Trau ihr nicht«? Es ist nicht unbedingt beruhigend , dass die Schule so leer ist oder dass ich morgen bei meiner Familie sein werde. Wer weiß , was für echte Schrecken mich dort erwarten.
Ich finde auf nichts eine Antwort. Und ich fürchte mich vor dem Schlaf. Als das erste Tageslicht durch die Fenstersche i ben blinzelt , bin ich bereits fertig angezogen , mein Koffer ist gepackt und ich bin entschlossen , mir London anzusehen , und wenn ich selbst die Pferde ku t schieren muss.
13. Kapitel
T o m verspätet sich wie gewöhnlich.
Ich bin pünktlich mit dem Zwölfuhrzug vo n S pence am Bahnhof Viktoria angekommen , aber v on meinem Bruder ist weit und breit nichts zu sehen. Vielleicht hatte er einen schrecklichen Unfall und liegt sterbend auf der Straße , wo er mit seinem letzten Atemzug einen der schluchzenden Umst e henden bittet , zum Bahnhof zu eilen und seine äußerst t u gendhafte Schwe s ter aus ihrer Ungewissheit zu erlösen. Es ist die ei n zige verzeihliche Erklärung , die ich finden kann. Höchstwah r scheinlich ist er in seinem Klub , scherzt und spielt Karten mit seinen Freunden und hat mich völlig vergessen.
»Meine Liebe , sind Sie sicher , dass Ihr Bruder kommt , um Sie abzuholen?« Es ist Beatrice , eine der beiden siebzigjähr i gen altjüngferlichen Schwestern , die im Zug neben mir gese s sen und sich unentwegt über Rheumatismus und Gartenfre u den unterhalten haben , bis ich g e dacht habe , ich werde wahnsinnig. Im Unterschied zu meinem Bruder sind sie um mein Wohlergehen besorgt.
»Oh ja. Ganz sicher , vielen Dank. Bitte machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen.«
»Oh , mein Gott , Millicent , wir können sie doch nicht ei n fach hier allein lassen. Was meinst du?«
»Nein , ganz recht , Beatrice. Sie muss mit uns kommen.
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