Der Geheimnistraeger
erneut.
»Sie dürfen gerne wieder anrufen, wenn Sie weitere Fragen haben«, meinte sie fröhlich, bevor sie zum zweiten Mal auflegten.
Møller begab sich direkten Weges zu Skov und erzählte von der Tasche und dem Telefongespräch.
»Wenn die Frau in der Rezeption recht hat«, sagte Møller, »dann hatte der Gast an diesem Morgen eine Tasche dabei. Aber Rocca hatte keine Tasche bei sich, als er ermordet wurde. Ich glaube auch kaum, dass die Mörder sie mitgenommen haben können. Irgendjemand war ganz offenbar anschließend daran interessiert, in den Besitz dieser Tasche zu gelangen.«
»Könnte der Mann mit dem Kinderwagen sie angerufen haben? «, meinte Skov.
»Sehr gut möglich. Oder sonst jemand, der an dem Mord beteiligt war, falls es sich nun um eine größere Verschwörung handeln sollte, was ja nach all dem, was geschehen ist, relativ wahrscheinlich ist.«
Skov erzählte von dem Bericht des Börsenmaklers über die neuen großen Optionsgeschäfte und von seinem fruchtlosen Verhör Lydia Tamaradzes.
»Verdammt unbehaglich«, sagte Møller.
»Was soll man nur glauben?«, meinte Skov.
»Ich weiß nicht«, sagte Møller. »Was könnte noch schlimmer als die Besetzung sein? Vielleicht liegt ja etwas in der Tasche, was das Ganze erklären könnte? Vielleicht wurde Rocca deswegen ermordet?«
Er erhob sich und zog eine Kopie des Schlüssels, den Paolo Rocca in der Hosentasche gehabt hatte, hervor.
»Wenn jetzt …«
»… die Tasche in diesem Schrank ist«, ergänzte Skov. »Das
versteht sich fast von selbst! Aber wo? Verdammt noch mal, wo?«
Skov klang geradezu verzweifelt. Møller hatte ihn nie zuvor so besorgt erlebt.
»Sei mal still«, sagte Møller.
Skov sah ihn an. Møller pflegte sonst nicht seinem Chef den Mund zu verbieten.
»Da ist etwas, da ist etwas«, sagte Møller. »Irgendetwas fehlt.«
»Die Tasche natürlich. Oder wovon sprichst du?«
»Die Zeit«, rief Møller. »Die Zeit fehlt!«
»Wahrhaftig«, sagte Skov. »Ich habe auch das Gefühl, dass uns keine Zeit bleibt. Die Zeit zerrinnt mir wie Sand zwischen den Fingern.«
»Hör zu«, meinte Møller. »Bei dieser Geschichte stimmt der zeitliche Ablauf nicht. Rocca verließ das Hotel um 8.06 Uhr. Aber er nahm dann erst um elf Uhr den Zug von Malmö, obwohl alle zwanzig Minuten einer fährt. Was hat er unterdessen getan?«
»Er hat jemanden getroffen«, antwortete Skov, »oder seine Tasche weggeschlossen.«
»Genau.«
»Møller«, sagte Skov. »Los jetzt, weitersuchen. Ich besorge dir fünf Mann, falls die Schweden keine Leute haben. Und bring in Erfahrung, von wo aus dieser Phantom-Ricardo das Hotel angerufen hat. Das müsste die Telecom wissen.«
»Gib mir Paulsen«, flehte Møller.
»Leider«, sagte Skov, »geht das nicht. Na mach schon.«
64. Kapitel
Ministerpräsident Rasmus Falck Pedersen stand unter Druck. Die Opposition sowohl zur Linken als auch zur Rechten ging davon aus, dass ein ausländisches NATO-Kommando die Truppe der Besatzer im Hotel Kong Frederik niedergeschlagen hatte. Alle glaubten, dass der Ministerpräsident sie insgeheim autorisiert hatte, die Aktion durchzuführen. Politiker aller Parteien, sogar solche aus den eigenen Reihen, betrachteten dies als Verrat am dänischen Volk. Der Kampf gegen den Terrorismus im Reich sei eine interne Angelegenheit, der Angriff hätte auch von der eigenen Polizei und dem eigenen Militär durchgeführt werden können. Die hohe Anzahl getöteter Geiseln zeige außerdem, welch ein Fehler es gewesen sei, die Lösung des Problems anderen zu überlassen.
Die Medien wollten Köpfe rollen sehen. Die Chancen, dass Rasmus Falck Pedersen als Politiker überleben würde, wurden von Londoner Wettbüros als gering eingeschätzt.
Am Donnerstag trat Falck Pedersen im Fernsehen auf, nachdem er sich zwei Tage lang geweigert hatte, Fragen zu beantworten. Der Ministerpräsident gerierte sich als Landesvater und begann seine Rede mit Worten über die »friedliebenden Dänen, die Opfer der Werkzeuge des Bösen geworden« seien. Er verurteilte die Terroristen als »Abschaum der Erde« und als
die »größte Bedrohung der westlichen Demokratie«. Nun werde alles unternommen, um die unbekannten Kräfte auszumachen, die hinter dem Angriff auf die »Brückenbauerstadt«, die Stadt, »die mehr als alle anderen den Zusammenhalt der dänischen Nation« symbolisiere, steckten. Der Ministerpräsident versicherte, dass die dänische Polizei nicht eher ruhen würde, als bis diese Dunkelmänner gefasst und
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