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Der Geheimnistraeger

Der Geheimnistraeger

Titel: Der Geheimnistraeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kanger
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andere. Und sie liegen etwas schräg auf dem Ring.«
    »Ganz ausgezeichnet! Und was sagt uns das?«
    »Keine Ahnung.« Paulsen wagte nicht, die Vermutung zu äußern, dass einem schielenden Silberschmied sein Werkstück etwas schief geraten war.
    »Es handelt sich tatsächlich um eine sehr saubere Arbeit, und Sie müssen entschuldigen, wenn ich mich beim letzten Mal vielleicht etwas herablassend geäußert habe«, meinte Herschfeld. »Wir hatten Glück!«, sagte er dann eifrig. »Der Ring ist genau zwischen den Pfeilern zerbrochen, so dass sich beide in ihrer vollen Länge messen lassen.«
    Der alte Mann griff zu einem Blatt Papier, auf das er Maßstäbe gezeichnet hatte. »Sehen Sie, lieber Paulsen. Der eine Pfeiler ist zwei Zentimeter lang, der andere einen Zentimeter. Der eine ist also doppelt so lang wie der andere. Außerdem sind sie geneigt und zwar alle beide!«

    »Interessant«, meinte Paulsen. »Aber leider tappe ich immer noch im Dunkeln. Klären Sie mich auf!«
    Herschfeld lächelte seinen Gast höflich an. »Mir ist klar, dass es nicht einfach ist. Wir müssen die italienische Provenienz berücksichtigen. Die schiefen Türme! Natürlich!«
    »In Pisa? Aber dort steht doch nur einer?«
    Der Juwelier wedelte ungeduldig mit der Hand. »Nein, nein! Nicht in Pisa. Zwei Türme. Bologna! Die schiefen Türme in Bologna!«
    »Stehen denn überall in Italien die Türme schief?«
    »Lieber Paulsen, verzeihen Sie einem alten Mann etwas Unterricht in Geschichte. Im Jahre 1109 begann Asinelli den Bau eines 97 Meter hohen Turms, der sich leider bedenklich neigte. Anschließend baute Garisenda einen Turm genau daneben. Aber das Erdreich gab nach, und dieser Turm neigte sich noch mehr und zwar so sehr, dass man sich bereits im 14. Jahrhundert gezwungen sah, ihn auf eine Höhe von 48 Meter zu kappen. Diese beiden berühmten Türme sind bis heute nicht umgestürzt, sondern stehen immer noch an der Piazza Vittorio Emmanuele in Bologna. Haben Sie sie wirklich noch nie gesehen?«
    »Vittorio? Wie in Vittoria?«
    »Nein, gar nicht! Die Ähnlichkeit der Namen ist reiner Zufall. Die Pfeiler auf dem Ring neigen sich, so wie es die Türme in Bologna tun. Das Größenverhältnis ist 1:2, genau wie in Wirklichkeit. Und obwohl der Ring recht abgenutzt ist, sieht man, dass die Türme wie die in Bologna quadratisch sind! Was wir vor uns haben, ist die etwa hundert Jahre alte Entsprechung der heutigen Souvenirs, die bei jeder Sehenswürdigkeit verkauft werden. Schlüsselringe mit dem Empire State Building, der Eiffelturm oder die Kleine Meerjungfrau. Allerdings handelt es sich hier um einen Silberring, der von einem richtigen Silberschmied angefertigt wurde.«

    Vincent betrachtete die Fotos und dann die Skizze des alten Juweliers. Dann sah er Herschfeld bewundernd an. Er lächelte. »Ein Ring aus Bologna«, sagte Paulsen. »Ja, vielleicht.«
    Herschfeld begleitete Paulsen zur Tür. »Kommen Sie wieder mal vorbei, lieber Paulsen. Machen Sie einem alten Mann die Freude, ihm die ganze Geschichte zu erzählen, wenn das Rätsel gelöst ist.«
    »Das tue ich. Ich wünschte mir, ich könnte Sie ins Vertrauen ziehen, aber das wäre gegen die Vorschriften.«
    »Natürlich. Aber wenn ich noch etwas für Sie tun kann, tue ich das gerne. Diese schreckliche Tat auf dem Rådhuspladsen muss doch aufgeklärt werden.«
    Vincent Paulsen sah den Juwelier verblüfft an. Natürlich, auch das hatte er sich zusammengereimt. Vincent gab ihm die Hand und verabschiedete sich rasch. Der alte Juwelier schloss die Ladentür hinter ihm ab.
    Bologna. Die Heimatstadt von Vittoria, Donata, Sophia und Frances? Angst vor dem Tod, Fremdenfeindlichkeit. In Gedanken vertieft ging Paulsen zum Präsidium zurück. Ziemlich bald hatte Lydia jede Windung seines Gehirns erfüllt.

26. Kapitel
    Am Tag darauf traf eine weitere große Gruppe junger Männer im Tagungshotel bei Korsør ein. Da es sich jetzt um nahezu siebzig Personen handelte, mussten sich fast fünfzig von ihnen ein Zimmer teilen. Doris erklärte die Situation und legte die Schlüssel auf den Empfangstresen. Alle schienen darauf eingestellt gewesen zu sein, und niemand hatte irgendwelche Einwände. Alle nahmen ihre Schlüssel, niemanden schien es zu kümmern, mit wem er sein Zimmer würde teilen müssen. Bei den beiden Letzten, die an den Tresen traten, handelte es sich zu Doris’ Erstaunen um Frauen. »Wir würden uns gerne ein Zimmer teilen«, sagte die eine auf Englisch, eine Frau mit olivfarbener Haut und

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