Der Geheimnistraeger
Stempel auf der Innenseite.
»Was, glauben Sie, wollen diese Rächer in Korsør?«
»Vielleicht wollen sie uns nur herausfordern, uns kleingläubige, selbstgerechte Westeuropäer«, erwiderte Herschfeld. »Darauf läuft es hinaus.«
Paulsen legte den Ring wieder ins Schaufenster.
»Danke für das Gespräch«, sagte er. »Ich gehe jetzt.«
»Kommen Sie wieder, lieber Paulsen. Sie sind immer willkommen. «
46. Kapitel
Espen zählte schon gar nicht mehr die Fliehenden, die ihm auf den Äckern bei Korsør entgegenkamen. Die Umrisse der Menschen zeichneten sich über dem hohen Getreide ab. Er hielt einige Personen an und fragte nach einem sicheren Weg in die Stadt, aber bekam meist nur ein »Sie sind ja verrückt, Mann« zur Antwort, ehe sie weitereilten, um sich möglichst weit von dem Wahnsinn zu entfernen, dem sie gerade entkommen waren. Ein Mädchen versuchte stammelnd zu beschreiben, was sie gesehen und gehört hatte. Daraus wurde Espen auch nicht viel klüger. Ein Mann ermahnte ihn, das Zentrum zu meiden, aber genau dorthin war Espen unterwegs.
Espen formulierte seine Fragen jetzt anders: Welchen Weg haben Sie genommen? Wurden Sie beschossen? Haben Sie Panzer oder bewaffnete Männer gesehen? Wenn ja, was taten die? Er bat darum, ihm die kritischen Punkte auf dem Stadtplan zu zeigen, er markierte ihre Fluchtwege mit einer Linie und schrieb die Zeiten dazu.
Auf diese Art gewann er schließlich ein Bild der Positionen des Feindes, von seinen bisherigen Bewegungen und von seinen Aktionen. Die Gewalt schien bislang recht begrenzt gewesen zu sein. Die Anwesenheit der Besatzer glich mehr einer Gewitterwolke über der Stadt. Das Unwetter hatte noch nicht begonnen.
Er begab sich weiter nach Süden, um dem Panzer an der Kreuzung Skovveien und Slagelse Landevej auszuweichen. Er kam zu einem Wald. Auf der Karte sah er, dass er ganz einfach »Korsør Skov« hieß. Direkt dahinter begannen die Häuser. Noch fünfhundert Meter, und er war in der Stadt.
Mit Hilfe des Stadtplans begab er sich auf die mit Wohnhäusern gesäumten Straßen. Er stieß nur noch auf vereinzelte Flüchtlinge, die mit leerem Blick an ihm vorbeihasteten. Auf halbem Weg ins Zentrum waren die Straßen schließlich verwaist. Irgendwelche Feinde hatte er bislang weder gesehen noch gehört.
Ein mildes Lüftchen wehte vom Großen Belt. Es roch frisch nach Salz und Meer. Die Sonne leuchtete über ihm. Die Illusion von Stille war groß.
Deswegen wirkte das Geräusch des Panzerwagens fast unanständig. Der Lärm war eher störend als bedrohlich. Er hörte das Dröhnen, ehe er den großen Stahlkoloss sah. Wie ein unwillkommener Gast tauchte er plötzlich an einer Kreuzung auf. Der Panzer bog in seine Richtung ein und fuhr geradewegs auf ihn zu. Espen sah einen Kopf und ein paar Schultern aus dem Geschützturm herausragen. Er zog sich in den Schutz eines Gartens zurück und hoffte, dass er nicht gesehen worden war. Eine Salve aus einer Maschinenpistole zerschmetterte das letzte Restchen Idylle. Espen rannte, um sich hinter einem Haus zu verstecken. Es gelang ihm gerade noch zu entkommen, da schlug die Salve in der Mauer hinter ihm ein. Rennend umrundete er die nächste Hausecke. Dort donnerte der Panzerwagen auf der Straße vorbei. Der Kommandant im Geschützturm hatte ihn offenbar für einen verirrten Flüchtling gehalten und es war ihm nicht wichtig genug gewesen, ihn zwischen den Häusern zu verfolgen.
Mit zitternden Knien ging Espen weiter Richtung Zentrum.
»Ich lebe. Ich bin unverletzt«, berichtete er seinen anonymen Bewachern Mr. Smith und Mr. Jones über den Sender in seiner Schläfe.
Es dauerte nur eine gute halbe Stunde, bis er den schmalen Sund zwischen der südlichen und der nördlichen Stadthälfte von Korsør erreicht hatte. An einer Straßenecke stand ein Briefkasten, dahinter war eine Buchsbaumhecke. Espen zog den Umschlag mit dem Geld aus der Tasche und nahm fünfundzwanzigtausend Dollar heraus. Die Geldscheine steckte er in seine Gesäßtasche. Den Umschlag mit dem restlichen Geld versteckte er in der Hecke.
Espen ging ein paar Straßen weiter und befand sich jetzt nur noch ein paar hundert Meter vom Hotel Kong Frederik entfernt. Er blieb eine Weile zögernd stehen, aber da war es schon zu spät. Leute mit schwarz vermummten Gesichtern kamen ihm entgegen. Espen hob die Arme in die Luft und rief, so laut er konnte: »Don’t shoot, don’t shoot! Negotiator, negotiator!«
Die drei Männer richteten ihre Waffen auf ihn. Espen
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