Der Geheimnisvolle Eremit
zwanzigjähriger Bursche, in einem groben Umhang und einer Hose aus braunem Tuch, das häufig geflickt und stark verblichen war – daran war nichts Ungewöhnliches.
Mit seinem leichten, drahtigen Körperbau sah er Hugh etwas ähnlich, doch war er eine Handbreit größer, schlank und braun wie ein Reh, und er bewegte sich mit den gleichen sparsamen, anmutigen Bewegungen wie diese wilden Tiere. Selbst seine gefaßte Ruhe ließ plötzliche, heftige Bewegungen erahnen, gleich einem wilden Tier, das reglos im Hinterhalt lauert. Er konnte gewiß schnell und lautlos laufen und weite, hohe Sprünge machen wie ein Hase. Auch sein Gesicht war gefaßt und wach. Auf dem Kopf trug er eine schwere, dicht gewobene Mütze aus gewelltem Haar in der Farbe von Blutbuchen. Lang und oval war sein Gesicht; er hatte eine hohe Stirn und eine lange, gerade Nase mit weiten Nasenlöchern, und auch dies erinnerte wieder an ein wildes Tier, das jeden Geruch im Wind wittert. Sein feingeschwungener Mund schien wie in geheimer Belustigung leicht zu lächeln, und die großen bernsteinfarbenen Augen mit den dunklen, kupfernen Brauen waren außen in den Winkeln ein wenig nach oben gezogen. Die glänzenden Augen waren von kupfernen Wimpern, lang und voll wie die einer Frau, beschattet, aber keineswegs trüb oder versteckt.
Was tat ein altmodischer Heiliger mit einem derart bildschönen Diener?
Doch der Junge, der gelassen die Musterung über sich ergehen ließ, hob nun die Lider und zeigte Abt Radulfus ein offenes, kindlich unschuldiges Gesicht. Er machte eine sehr einnehmende und respektvolle Ehrenbezeugung und wartete dann, daß man ihn ansprach und befragte.
»Du kommst vom Eremiten von Eyton?« fragte der Abt freundlich und betrachtete aufmerksam das junge, ruhige und beinahe lächelnde Gesicht.
»Ja, Herr. Der heilige Cuthred läßt durch mich eine Botschaft überbringen.« Seine Stimme war ruhig und klar, vielleicht ein wenig zu hoch, so daß sie unter der Kuppeldecke des Kapitelsaals wie eine Glocke klang.
»Wie ist dein Name?« fragte Radulfus.
»Hyacinth, Herr.«
»Ich kannte einmal einen Bischof dieses Namens«, meinte der Abt und mußte einen Moment lächeln, da das schlanke braune Geschöpf vor ihm nicht das geringste mit dem Bischof gemein hatte. »Wurdest du nach ihm benannt?«
»Nein, Herr, ich habe noch nie von ihm gehört. Man sagte mir einmal, daß ein Junge meines Namens in einer alten Geschichte vorkomme. Zwei Götter stritten sich um ihn, und der Verlierer habe den Jungen getötet. Man sagt, aus seinem Blut seien Blumen gesprossen. Ein Priester hat es mir erzählt«, antwortete der Junge unschuldig und sah sich unauffällig im Kapitelsaal um. Anscheinend war er sich der Unruhe, die seine Worte in den Herzen der versammelten Brüder erzeugt hatten, wohl bewußt. Doch der Abt fuhr unbeirrt fort.
In diese alte Geschichte, dachte Cadfael, während er den Jungen angenehm berührt und interessiert betrachtete, paßt du weit besser als in die Nähe von Bischöfen oder Einsiedlern, und das weißt du selbst am besten. Wo in aller Welt hat er dich entdeckt und wie hat er dich nur gezähmt?
»Darf ich nun meine Botschaft übermitteln?« fragte der Junge, die goldenen Augen groß und klar auf den Abt gerichtet.
»Hast du sie auswendig gelernt?« erkundigte Radulfus sich lächelnd.
»Das mußte ich, Herr. Jedes Wort muß richtig ausgesprochen werden.«
»Ein sehr gewissenhafter Bote! Ja, du sollst sprechen.«
»Es muß die Stimme meines Herrn sein, nicht meine eigene«, erklärte der Junge einleitend und senkte die Stimme einige Töne unter seinen normalen, singenden Tonfall. Er ahmte seinen Herrn so genau nach, daß zumindest Cadfael ihn einigermaßen verblüfft und erschrocken betrachtete.
»Ich habe zu meinem Kummer«, sagte die Stimme des Eremiten, »vom Aufseher von Eaton und dem Förster von Eyton von dem Unheil erfahren, das plötzlich das Waldland heimsucht. Ich habe gebetet und meditiert, und ich fürchte, daß wir bisher nur die Vorboten noch schlimmerer Dinge gesehen haben. Schlimmeres wird kommen, solange ein Ungleichgewicht oder eine Abweichung von dem, was Recht ist, bestehen bleibt. Ich weiß von keinem solchen Unrecht, es sei denn, daß Frau Dionisia Ludel ihr Enkelkind vorenthalten wird. Der Wunsch des Vaters muß berücksichtigt werden, doch der Kummer der Witwe darf nicht einfach abgetan werden, da sie nun völlig allein ist. Ich bitte Euch, Ehrwürdiger Abt, im Namen der Liebe Gottes, zu bedenken, ob das,
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