Der Geheimnisvolle Eremit
der einen Seite die Tochter des Abteiförsters, eine gute Partie für jeden begüterten, angesehenen jungen Mann in diesem Teil der Grafschaft, auf der anderen Seite ein armer, heimatloser Fremder, der von der Barmherzigkeit seines Herrn abhing und kein Land besaß, der kein Handwerk ausübte und keine Verwandten hatte.
Cadfael versorgte sein Pferd im Stall, bevor er Abt Radulfus aufsuchte, um ihm zu berichten, wie die Dinge im Wald von Eyton standen. In den Ställen herrschte eine gewisse Unruhe, denn neue Gäste waren eingetroffen, deren Pferde untergebracht und gefüttert werden mußten. In der letzten Zeit hatte es nur wenig Reisende gegeben; im Sommer kamen viele Händler vorbei und Handwerker auf Wanderschaft, doch nun hatte sich herbstliche Stille über das Land gesenkt. Später, kurz vor dem Weihnachtsfest, würde sich das Gästehaus wieder füllen, denn dann eilten Reisende nach Hause und Verwandte kamen, um Verwandte zu besuchen. In dieser ruhigen Zwischenzeit jedoch hatte man die Muße, jeden Neuankömmling ausgiebig zu begutachten und jener Neugierde nachzugeben, die bei denen besonders ausgeprägt ist, die dem Auf und Ab der Welt abgeschworen haben.
Und nun kam gerade ein Mann mit langen, ausgreifenden Schritten aus den Stallungen und überquerte den Hof. Dem Gang nach war es ein selbstbewußter, temperamentvoller Mann, gut gekleidet, mit eleganten Stiefeln an den Füßen und mit Schwert und Dolch bewaffnet, der sich zweifellos seiner Stellung bewußt war. Er schob sich im Tor an Cadfael vorbei.
Es war ein großer, kräftiger und energischer Mann, dessen Gesicht einen Augenblick hell beleuchtet wurde, als er unter die Fackel im Torbogen trat. Er hatte ein breites, fleischiges doch hartes Gesicht, muskulöse Arme wie ein Ringer, und trotz seines guten Aussehens wirkte er ein wenig brutal. Es war das Gesicht eines Mannes, der im Augenblick nicht zornig war, der aber jederzeit bereit schien, seiner Wut freien Lauf zu lassen.
Er war sauber rasiert, was seine kräftigen Gesichtszüge sogar noch furchteinflößender machte, und die Augen, die herrisch starrten, wirkten in diesem massigen Gesicht unpassend klein, obwohl sie es in Wirklichkeit wahrscheinlich gar nicht waren.
Alles in allem ein Mann, dem man besser nicht in die Quere kam. Er mußte etwa fünfzig Jahre alt sein, doch die Zeit hatte gewiß nicht aufgeweicht, was von Anfang an hart wie Granit gewesen war.
Sein Pferd stand vor einem offenen Verschlag im Stall. Es dampfte leicht, als wäre das Satteltuch gerade erst heruntergenommen worden. Ein Knecht rieb das Pferd ab und redete bei der Arbeit beruhigend auf das Tier ein. Der Pferdeknecht war ein magerer, drahtiger Bursche, der schon altersgrau wurde. Er trug eine verblichene, grob gewirkte dunkelbraune Hose und einen abgestoßenen Ledermantel. Er warf Cadfael einen schrägen Blick zu und begrüßte ihn mit einem schweigenden Nicken; er schien so daran gewöhnt, allen Menschen mit Vorsicht begegnen zu müssen, daß er selbst einem Benediktinerbruder eher auswich, als ihn freudig zu begrüßen.
Cadfael sprach dennoch ein fröhliches Willkommen und begann, sein eigenes Pferd abzuzäumen. »Seid lhr weit geritten? War das Euer Herr, den ich im Tor traf?«
»Das war er«, antwortete der Mann ohne aufzublicken und schwieg wieder.
»Ich kannte ihn nicht. Woher kommt ihr? Wir haben um diese Jahreszeit nicht viele Gäste.«
»Aus Bosiet – das ist ein Gut hinter Northampton, ein paar Meilen südöstlich der Stadt. Er ist es selbst, Drogo Bosiet. Ihm gehört dort unten ein gutes Stück Land.«
»Da ist er aber weit von seinem Heim entfernt«, bemerkte Cadfael interessiert. »Wohin will er denn? Wir haben hier in dieser Gegend nur selten Reisende aus Northamptonshire.«
Der Knecht richtete sich auf, um den neugierigen Frager mit einem langen, schmalen Blick zu mustern, und entspannte sich ein wenig, da er Cadfael liebenswürdig und harmlos fand. Doch er blieb verschlossen wie er war und wurde nicht gesprächiger.
»Er will jagen«, erwiderte er mit einem grimmigen und verstohlenen Lächeln.
»Aber keine Hirsche«, vermutete Cadfael, der nun seinerseits den Mann musterte und das Lächeln sehr wohl bemerkt hatte.
»Und sicherlich auch keine Kaninchen, würde ich sagen.«
»Da habt Ihr recht. Er sucht einen Mann.«
»Einen Entlaufenen?« Cadfael konnte es kaum glauben. »So weit von daheim entfernt? Ist denn ein fortgelaufener Leibeigener soviel Zeit und Mühe wert?«
»Dieser schon. Er ist
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