Der Geheimnisvolle Eremit
Aufseher niedergeschlagen und für einige Tage ins Bett geschickt. Der Junge war so klug, danach die Beine in die Hand zu nehmen, bevor er gefaßt wurde. Ich denke, daß sie schon eine Menge Zeit mit der Suche nach ihm verschwendet haben, bevor sie erfuhren, daß er nach Northampton und weiter nach Norden und Westen gegangen sei. Sie sind ihm bis hierher gefolgt und haben von jedem Halt aus in alle Richtungen nach ihm geforscht. Sie sagen, er sei wertvoll, aber er muß sie schon mehr gekostet haben, als er wert ist. Sie sind zuerst und vor allem auf sein Blut aus, und das ist ihnen anscheinend mehr wert als seine sonstigen Fähigkeiten, wie immer sie beschaffen sein mögen. Sie sind voller Haß«, berichtete Cadfael. »Er brachte ihn mit sich ins Kapitel. Der Vater Abt war nicht sehr begeistert von der Vorstellung, dem Manne bei einer solchen Rache helfen zu müssen.«
»Und hat ihn sogleich an mich weitergereicht«, meinte Hugh mit einem kurzen Grinsen. »Nun, ich kann es ihm nicht verdenken. Ich nahm Euch beim Wort und machte mich rar, solange ich konnte. Ich hätte ihm ohnehin nicht helfen können.
Was wißt Ihr sonst noch über ihn?«
»Daß er einen Knecht namens Warin hat, der mit Ausnahme dieses letzten Rittes immer mit ihm reitet. Vielleicht hatte er den Mann auf einen anderen Botengang geschickt, war zu ungeduldig, dessen Rückkehr abzuwarten, und ist allein aufgebrochen. Er ist – er war seinen Dienern gegenüber recht freigebig mit Faustschlägen, ob diese nun gefehlt hatten oder nicht. Zumindest Warin hat er das Gesicht verschandelt, und wie der Mann mir sagte, war das keine Seltenheit. Was den Sohn angeht, so ist der, auch wieder nach Warin, ganz der Vater und sicher ein Mann, dem man besser aus dem Weg geht. Er muß jetzt jeden Tag von Stafford eintreffen.«
»Um hier den Sarg seines Vaters vorzufinden, den er zur Beerdigung mit sich heimnehmen muß«, sagte Hugh wehmütig.
»Und um festzustellen, daß er jetzt der Herr von Bosiet ist«, erwiderte Cadfael. »Das ist die Kehrseite der Medaille. Wer weiß, welche Seite in seinen Augen heller glänzt?«
»Ihr werdet recht zynisch, alter Freund«, bemerkte Hugh mit einem ironischen Lächeln.
»Ich forsche nach Gründen«, räumte Cadfael ein, »die einen Menschen veranlassen könnten, einen anderen Menschen zu ermorden. Gier ist einer dieser Gründe, und die Gier könnte wohl in einem Sohn geweckt werden, der ungeduldig auf sein Erbe wartet. Haß ist ein weiterer Beweggrund, und ein mißhandelter Diener könnte einen großen Haß entwickeln, dem er im rechten Augenblick einen Ausdruck gibt. Aber es gibt zweifellos noch andere und eigenartigere Gründe, etwa einen Hang zum Stehlen und der Wunsch zu verhindern, daß der Bestohlene eine Zeugenaussage machen kann. Es ist eine Schande, Hugh, eine große Schande, daß die Leute sich so nach dem Tode drängen, der doch zu gegebener Zeit ganz von selbst einen jeden ereilt.«
Als sie bei Wroxeter die Hauptstraße erreichten, stand die Sonne schon hoch am Himmel, und der Dunst floh vor ihrem Angesicht, wenn auch in den Feldern noch der Nebel wallte.
Hier auf der Straße nach Shrewsbury kamen sie gut voran und ritten gegen Ende des Hochamtes durchs Torhaus ins Kloster ein. Die Brüder gingen gerade auseinander, um bis zum Mittagsmahl ihre Arbeiten zu verrichten.
»Der Vater Abt hat mehrmals nach Euch gefragt«, sagte der Pförtner, der aus seinem Verschlag kam, als er sie bemerkte.
»Er ist in seinem Sprechzimmer, der Prior ist bei ihm und er bittet Euch, zu ihm zu kommen.«
Sie überließen die Pferde den Stallburschen und gingen sofort zu den Gemächern des Abtes. Radulfus blickte von seinem Schreibtisch auf, und Prior Robert, der sehr aufrecht und streng auf einer Bank neben dem Fenster saß, sah ihnen mit deutlicher Mißbilligung und Abscheu entgegen. Die Verworrenheiten von Gesetz und Mord und Menschenjagd durften doch nicht einfach in das mönchische Leben eindringen.
Er bedauerte die Notwendigkeit, ihre Existenz zur Kenntnis nehmen und sich mit ihnen befassen zu müssen, wenn sie mit Gewalt auf ihn hereinbrachen. An seiner Seite stand, unauffällig in seinem Schatten, Bruder Jerome, die schmalen Schultern hochgezogen, die dünnen Lippen zusammengepreßt, die bleichen Hände in den Ärmeln gefaltet, das Sinnbild der verletzten Tugend, die ihr Kreuz mit Demut trägt. Jeromes Demut hatte immer eine starke Note von Selbstgefälligkeit, doch diesmal schien er auch ein wenig empört, als wäre seine
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