Der Geheimnisvolle Eremit
Cadfael. »Ich gehörte zur Eskorte des Jungen. Und dies hier ist Hugh Beringar, der Sheriff dieser Grafschaft.«
»Es ist mir eine Ehre, Sheriff«, sagte Cuthred. »Wollt Ihr mich in meine Klause begleiten?« Damit löste er das zerfranste Seil, das ihm als Gürtel diente, und ließ die Kutte zu den Füßen hinabfallen. Als er sie ins Haus führte, streifte sein dichter Haarschopf den Steinbalken über der Tür. Er war gut einen Kopf größer als seine beiden Besucher.
In dem düsteren Wohnraum gab es nur ein schmales Fenster, durch welches das Nachmittagslicht hereinfiel. Eine leichte Brise wehte den Duft frisch gemähten Grases und feuchter Herbstblätter herein. Durch die türlose Öffnung zur Kapelle sahen sie genau das, was auch Drogo gesehen hatte: den Steinaltar mit dem geschnitzten Holzkästchen, das silberne Kreuz, die Kerzenhalter und das offene Brevier, das vor der kleinen Lampe lag. Der Einsiedler bemerkte Hughs Blick, der zu dem offenen Buch wanderte, und ging hinüber, um es andächtig zu schließen und mit liebevoller Umsicht exakt in einer Linie mit dem Reliquienschrein zurechtzulegen. Die feinen Goldornamente und das wundervoll gearbeitete Leder der Bindung glänzten im dünnen Licht der Lampe.
»Und wie kann ich nun dem Sheriff zu Diensten sein?« fragte Cuthred, das Gesicht immer noch zum Altar gewandt.
»Ich muß Euch einige Fragen stellen«, sagte Hugh betont höflich. »Es geht um einen ermordeten Mann.«
Nun fuhr der buschige Kopf erschrocken herum, und die Augen starrten entsetzt und erstaunt. »Ein ermordeter Mann?
Hier? Ich weiß von keinem Ermordeten. Sagt mir, was ihr wollt, Herr.«
»Gestern abend machte sich ein gewisser Drogo Bosiet, ein Gast der Abtei, auf, um Euch zu besuchen, nachdem ihm einer der Brüder den Weg beschrieben hatte. Er kam her, um einen entlaufenen Leibeigenen zu suchen, einen jungen Mann von etwa zwanzig Jahren, und er hatte die Absicht, Euren Burschen Hyacinth zu sehen, der ein Fremder ist und im richtigen Alter und zur Beschreibung paßt, um festzustellen, ob dieser der Leibeigene ist, der aus Bosiet fortlief. War er gestern bei Euch?
Er müßte gegen Abend eingetroffen sein.«
»Ja, ein solcher Mann war tatsächlich bei mir«, antwortete Cuthred sofort, »wenn ich auch nicht nach seinem Namen fragte. Aber was hat dies mit einem Mord zu tun? Ihr sagtet, ein Mann wurde ermordet.«
»Eben dieser Drogo Bosiet wurde auf dem Rückweg zur Stadt und zur Abtei durch einen Messerstich in den Rücken niedergestreckt und etwa eine Meile von Eurer Klause neben dem Weg liegengelassen. Bruder Cadfael fand ihn gestern im Dunkeln tot auf, und sein Pferd streunte in der Nähe.«
Die tiefliegenden Augen, die in den Höhlen rötlich funkelten, zuckten in ungläubigem Erstaunen von einem zum anderen.
»Kaum zu glauben, daß es hier in diesem gut bestellten und gut verwalteten Land Halsabschneider und entlaufene Leibeigene gibt – in Eurem Amtsbezirk auch noch, Herr, und so nahe an der Stadt. Trifft dies zu, wie es den Anschein hat, oder steckt noch Schlimmeres dahinter? Wurde der Mann beraubt?«
»Die Sattelrolle wurde gestohlen, was immer sie enthalten haben mag. Doch man ließ ihm seinen Ring und sein Gewand.
Die Tat geschah in großer Eile.«
»Entlaufene Leibeigene hätten ihn nackt ausgezogen«, stellte Cuthred entschieden fest. »Und ich glaube nicht, daß dieser Wald ein Unterschlupf für Gesetzlose ist. Es muß um etwas anderes gehen.«
»Was hatte er zu sagen, als er zu Euch kam«, fragte Hugh, »und was folgte darauf?«
»Er kam, als ich hier in der Kapelle die Gebete zur Vesper sprach. Er trat ein und begehrte den Jungen zu sehen, der für mich die Botengänge erledigt. Er sagte, ich müßte mich darauf gefaßt machen, daß ich möglicherweise einen Verbrecher aufgenommen hätte. Er suche einen entlaufenen Diener und hätte erfahren, daß es hier einen Jungen im richtigen Alter gab, gerade erst angekommen und allen hier fremd, der durchaus sein entlaufener Mann sein konnte. Außerdem, sagte er mir, sei der Flüchtige in diese Richtung geflohen. Dies und das zeitliche Zusammentreffen störten meinen Seelenfrieden, als ich daran dachte, wann und unter welchen Umständen ich den damals bedauernswerten Hyacinth kennenlernte. Und es kam nicht zur Prüfung«, sagte Cuthred geradeheraus. »Der Junge war nicht da. Eine gute Stunde früher hatte ich ihn auf einen Botengang nach Eaton geschickt. Er war noch nicht zurück, er ist bis heute nicht zurückgekommen. Und
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