Der Geheimnisvolle Eremit
durchgebrochen. Cadfael näherte sich wieder dem Pfad, und dort, etwas seitlich zwischen den Büschen im hohen Gras, so versteckt, daß er daran vorbeigeritten war, fand er, was er zu finden gefürchtet hatte.
Drogo Bosiet lag flach auf dem Bauch, tief eingesunken im weichen Herbstlaub. Trotz der dunklen Färbung seiner Gewänder entdeckte Cadfael sofort die noch dunklere Stelle, wo Blut unter dem linken Schulterblatt hervorgequollen war, nachdem der Dolch, der ihn getötet hatte, hineingestoßen und zurückgezogen worden war.
6. Kapitel
Zu so später Stunde bestand kaum Hoffnung, von der Abtei oder der Burg rasch Hilfe herbeizuholen, und dem dunklen Waldboden ließ sich nichts Wissenswertes mehr entnehmen.
Auf sich allein gestellt konnte Cadfael nur neben dem reglosen Körper niederknien, nach Herzschlag oder Puls tasten und lauschen, ob es noch Atemgeräusche gab. Drogos Körper war zwar noch warm und ließ sich mühelos bewegen, doch kein Lebenszeichen regte sich in ihm, und das Herz im großen Brustkasten, das vom Dolchstoß von hinten gewiß durchbohrt worden war, lag still wie ein Stein in der Brust. Er konnte noch nicht sehr lange tot sein, doch der Blutstrom, der durch die Klinge geöffnet worden war, war inzwischen versiegt und begann an den Rändern bereits zu einer dunklen Kruste einzutrocknen. Vor mehr als einer Stunde, dachte Cadfael, die Zeichen bewertend, die er sah; höchstens vor zwei Stunden.
Und die Sattelrolle losgeschnitten und gestohlen. Hier in unseren Wäldern! Wann hatte man schon einmal von Banditen gehört, die sich so nahe an die Stadt wagten? Oder hat ein Halsabschneider aus der Stadt erfahren, daß Eilmund ans Bett gefesselt ist, und sich hier verborgen, um einem einsamen Reiter aufzulauern?
Eine Verzögerung konnte Drogo jetzt nicht mehr schaden, und das Tageslicht mochte eine Spur zeigen, die zu seinem Mörder führte. Am besten war es, ihn zu lassen wie er war und eine Botschaft auf die Burg zu schicken, wo immer eine Wache auf Posten war, damit Hugh beim ersten Tageslicht verständigt wurde. Um Mitternacht würden sich die Brüder zur Messe erheben, und bei dieser Gelegenheit konnte die schreckliche Neuigkeit auch Abt Radulfus überbracht werden. Der Tote war der Gast der Abtei, sein Sohn wurde in wenigen Tagen erwartet. Der Leichnam mußte zur Abtei gebracht werden, wo man mit ihm verfahren würde, wie es sich geziemte.
Nein, im Augenblick konnte man nichts mehr für Drogo Bosiet tun, aber wenigstens konnte Cadfael das Pferd in den Stall zurückbringen. Er stieg auf und nahm den Zügel des reiterlosen Pferdes in die linke Hand. Das Tier folgte ihm willig. Es gab keinen Grund zur Eile; er hatte Zeit bis Mitternacht. Selbst wenn er vor der Frühmette sein Bett erreichte, würde er nicht schlafen können. So war es besser, die Pferde zu versorgen und auf die Glocke zu warten.
Abt Radulfus wollte zeitig zur Messe in die Kirche gehen und fand Cadfael auf der Südtreppe wartend, als er seine Gemächer verließ. Gerade ertönte die Schelle im Dormitorium.
Cadfael brauchte nur wenige Augenblicke, um unumwunden zu sagen, daß ein Mann gestorben war, nicht durch die Hand Gottes, sondern durch die eines anderen Mannes.
Radulfus war dafür bekannt, daß er keine überflüssigen Worte machte, und er tat es auch jetzt nicht, als er erfuhr, daß ein Gast seines Hauses im Wald der Abtei ein gewaltsames Ende gefunden hatte. Er nahm den Bericht über das Verbrechen in düsterem Schweigen auf und stellte sich mit ernstem Kopfnicken den Pflichten, die jetzt der weltlichen wie der kirchlichen Macht auferlegt waren. Der Schuldige mußte gefunden und zur Rechenschaft gezogen werden. Er preßte die Lippen zusammen und dachte schweigend nach. Unterdessen hörten sie die weichen Sandalen der Brüder in die Kirche tappen.
»Habt Ihr schon Hugh Beringar unterrichtet?« fragte der Abt.
»Ich habe in seinem Haus und auf der Burg eine Nachricht hinterlassen.«
»Dann bleibt im Augenblick bis zum ersten Tageslicht nichts weiter zu tun. Er muß hergebracht werden, da sein Sohn kommen wird. Aber Ihr, Ihr werdet gebraucht werden, denn Ihr wißt den Weg zu dem Ort, wo er liegt. Geht jetzt, ich befreie Euch vom Gottesdienst. Geht zu Bett und ruht etwas und reitet im Morgengrauen zum Sheriff. Richtet ihm aus, daß ich Helfer ausschicken werde, die die Leiche heimbringen sollen.«
Im ersten zögernden Licht eines kühlen Morgens standen sie über Drogo Bosiets Leiche, Hugh Beringar und Cadfael, ein Soldat
Weitere Kostenlose Bücher