Der Geheimnisvolle Eremit
fassen. Und wir müssen seinen sterblichen Überresten in aller Form die letzte Ehre erweisen. Robert, wollt Ihr dafür sorgen, daß der Tote würdevoll aufgebahrt wird, wenn die Männer ihn gebracht haben? Und, Bruder Jerome, Ihr mögt helfen. Wir wollen Euren Eifer, ihm zu Diensten zu sein, nicht ungenutzt lassen. Ihr dürft Nachtwache bei ihm halten und für seine Seele beten.«
Dann werden die beiden also heute Nacht in der Friedhofskapelle Seite an Seite liegen, dachte Cadfael, als sie zusammen das Sprechzimmer verließen: Der alte Mönch, der ein langes Leben beschlossen hatte, sanft wie eine verblühte Blume, die ihre Blätter abstreift, und der Gutsbesitzer, der in seinem Haß und seinem Zorn ohne Vorwarnung einen plötzlichen Tod gefunden und keine Zeit mehr gehabt hatte, seinen Frieden mit den Menschen oder Gott zu schließen.
Drogo Bosiets Seele würde alle Gebete brauchen, die man nur für sie sprechen konnte.
»Habt Ihr schon daran gedacht«, fragte Hugh plötzlich, als sie zum zweiten Mal durch die Vorstadt hinausritten, »daß Bruder Jerome in seinem Eifer, Gerechtigkeit zu üben, Bosiet zu seinem Tod verholfen hat?«
Cadfael wollte diesem Gedanken lieber nicht weiter nachgehen. »Bosiet war auf dem Rückweg«, antwortete er vorsichtig, »und er ritt allein. Das spricht dafür, daß seine Erwartungen enttäuscht wurden. Der Junge ist nicht sein entlaufener Leibeigener.«
»Er könnte es sehr wohl sein, wenn er sah, daß ihm Unheil drohte und er die Zeit fand, zu verschwinden. Er ist jetzt lange genug in den Wäldern, um sich gut auszukennen. Wie, wenn die Hand, die den Dolch führte, die seine war?«
Das war zweifellos eine Möglichkeit. Wer konnte einen besseren Grund haben, Drogo Bosiet ein Messer in den Rücken zu stoßen als der Bursche, der gefangen und vor Gericht gestellt werden sollte, um sein Leben lang zu büßen?
»Genau das wird man sagen«, stimmte Cadfael düster zu. »Es sei denn, wir finden Cuthred und seinen Jungen friedlich zu Hause sitzend, ihren eigenen Geschäften nachgehend und sich um nichts anderes in der Welt kümmernd. Vermutungen anzustellen hat wenig Sinn, solange wir nicht wissen, was dort geschehen ist.«
Sie näherten sich dem Ausläufer des Landes von Eaton über den Pfad, den auch Drogo benutzt hatte, als sie die kleine Lichtung im dichten Wald vor ihnen fast ebenso plötzlich auftauchen sahen wie er. Doch nun herrschte volles Tageslicht, während Bosiet in der Dämmerung gekommen war.
Gedämpftes Sonnenlicht strömte durch die Äste und verlieh dem schlichten Grau der Steinhütte einen trübgoldenen Glanz.
Die niedrigen Latten des Gartenzaunes klafften weit auseinander; es war eine bloße Andeutung einer Grenze und kein Hindernis für Tier oder Mensch. Die Tür der Hütte stand weit offen, so daß sie ins Innere blicken konnten, wo die kleine Lampe auf dem Steinaltar mit winziger Flamme brannte, fast erdrückt vom hellen Licht, das durch das kleine Fenster von oben hereinfiel. Wie es schien, stand St. Cuthreds Klause jedem weit offen, der kam.
Ein Teil des eingefriedeten Gartens war noch verwildert, doch Gras und Kräuter waren schon gemäht, und der Einsiedler selbst war mit Hacke und Spaten am Werk, hob Grassoden aus und säuberte den Boden. Sie sahen ihm einen Augenblick zu, wie er unerfahren, aber störrisch und geduldig arbeitete.
Anscheinend war er es nicht gewöhnt, mit solchen Werkzeugen umzugehen und sich Arbeiten zu widmen, die eigentlich Hyacinth hätte erledigen sollen. Der übrigens nirgends zu sehen war.
Der Eremit war ein großer Mann mit langen Beinen und langem Körper, schlank und gerade. Die grobe dunkle Kutte hatte er zu den Knien hochgerafft, die Kapuze auf die Schulter zurückgeworfen. Als er sie kommen sah, richtete er sich von der Arbeit auf und spießte die Hacke in den Boden. Er zeigte ihnen ein kräftiges, mageres Gesicht mit nußbrauner Haut und tiefen Augen, eingerahmt von dichtem Haar und Bart. Er blickte von einem zum anderen und nahm Hughs Gruß mit einem tiefen Neigen des Kopfes zur Kenntnis, ohne jedoch die Augen niederzuschlagen.
»Wenn Ihr zu Cuthred dem Einsiedler wollt«, sagte er mit tiefer, wohlklingender Stimme und großer Selbstsicherheit, »dann kommt herein und seid willkommen. Ich bin Cuthred.«
Und nachdem er Cadfael einen Moment betrachtet hatte, fuhr er fort: »Ich glaube, ich habe Euch in Eaton gesehen, als Herr Richard beerdigt wurde. Ihr seid ein Bruder aus Shrewsbury.«
»So ist es«, erwiderte
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