Der Geheimnisvolle Eremit
Pförtner kam aus seinem Verschlag heraus und ließ sich unter lautem Schnaufen draußen auf die Steinbank sinken.
Dann blies er in etwas übertriebener Verzweiflung die rosigen Wangen auf.
»Immer noch keine Spur von dem Jungen?« fragte Cadfael, doch er wußte die Antwort bereits.
»Nein, und da er mit dem Pony davonritt, ist es auch kaum zu erwarten. Aber sie sagen, sie wollen ganz sicher gehen. Man will sogar den Mühlteich mit einem Schleppnetz absuchen.
Narrheit! Wie sollte er in den Teich gekommen sein, wenn er im Trab zur Vorstadt hinausritt – und das wissen wir mit Sicherheit.
Außerdem würde er nicht ertrinken, er schwimmt wie ein Fisch.
Nein, er ist außer unserer Reichweite, in welchen Schwierigkeiten auch immer er steckt. Aber sie müssen ja jeden Strohhalm in den Scheunen umdrehen und alle Ställe absuchen. Beeilt Euch lieber und bewacht Eure Werkstatt, sonst stellen sie die auch noch auf den Kopf.«
Cadfael betrachtete die stille dunkle Gestalt am Gästehaus.
»Wer ist der Neuankömmling?«
»Ein gewisser Rafe von Coventry. Ein Falkner des Grafen von Warwick. Bruder Denis sagte mir, er wolle in Gwynedd junge Falken zum Abrichten holen. Er ist erst vor einer Viertelstunde gekommen.«
»Ich hätte ihn auf den ersten Blick für Bosiets Sohn gehalten«, meinte Cadfael, »aber anscheinend ist er zu alt – er gehört eher der Generation des Vaters an.«
»Ich hielt ihn zuerst auch für den Sohn. Ich erwartete ihn jeden Augenblick, denn schließlich muß ihm ja jemand sagen, was hier passiert ist, obwohl es mir lieber wäre, Prior Robert übernähme diese Aufgabe.«
»Es gefällt mir, wie dieser Mann«, sagte Cadfael anerkennend, immer noch den Fremden betrachtend, »mitten in diesem Trubel ruhig dastehen kann, ohne neugierige Fragen zu stelle. Ach, ich will zuerst mein Pferd absatteln und in den Stall bringen. Es hatte heute reichlich Bewegung, und ich übrigens auch.«
Und morgen, dachte er, während er das Pferd gemächlich über den großen Hof zum Stallhof führte, muß ich schon wieder los. Vielleicht weiche ich dabei ein wenig vom Weg ab, aber das wird sich morgen zeigen.
Er kam dicht an Rafe von Coventry vorbei, der immer noch ohne Fragen zu stellen die Unruhe beobachtete und seinen eigenen Gedanken nachhing. Als er die Hufe bedächtig über das Pflaster klappern hörte, wandte er den Kopf und erwiderte einen Moment lang Cadfaels Blick, lächelte ihn kurz an und nickte ihm grüßend zu. Der Mann hatte ein kräftig ausgebildetes, aber ansonsten ausdrucksloses Gesicht, eine breite Stirn und kräftige Wangenknochen, einen kurzgeschnittenen braunen Bart und weit auseinanderliegende, selbstbewußte braune Augen mit vielen kleinen Falten in den Winkeln, als sei er daran gewöhnt, im Freien zu arbeiten und seinen Blick über große Entfernungen schweifen zu lassen.
»Wollt Ihr zu den Ställen, Bruder? Dann seid mein Führer.
Nichts gegen Eure Burschen, aber ich würde mein Pferd gern selbst versorgen.«
»So halte ich es auch«, erwiderte Cadfael freundlich und blieb einen Augenblick stehen, damit der Fremde sich zu ihm gesellen konnte. »Es ist eine liebe alte Gewohnheit. Und wenn man sie hat, gibt man sie nicht mehr auf.« Da sie von ähnlich kleiner Statur waren, gingen sie im gleichen Schrittmaß weiter.
Im Stallhof rieb ein Bursche der Abtei gerade einen großen Braunen mit einer weißen Blesse auf der Stirn ab und sprach dabei beruhigend auf ihn ein.
»Eurer?« sagte Cadfael anerkennend.
»Ja«, antwortete Rafe von Coventry knapp und nahm dem Stallburschen das Tuch aus der Hand. »Ich danke dir, Freund.
Jetzt will ich mich selbst um ihn kümmern. Wo kann ich ihn unterstellen?« Er betrachtete die Nische, die der Knecht ihm zeigte, mit einem langen, kundigen Blick und nickte zufrieden.
»Ihr haltet Euren Stall gut in Schuß, Bruder. Nehmt es mir nicht übel, daß ich mein Pferd selbst versorge. Ich bin stolz auf mein gutes Pferd, und wie ihr sagtet, ist es eine alte Gewohnheit.«
»Reist Ihr allein?« fragte Cadfael, der sein Pferd absattelte, den Gast jedoch genau im Auge behielt. Der Gürtel, den Rafe trug, war geeignet, Schwert und Dolch aufzunehmen. Zweifellos hatte er beides mit dem Mantel und seiner anderen Habe im Gästehaus abgelegt. Ein Falkner läßt sich nicht so einfach einordnen wie die meisten anderen Reisenden. Ein Händler hätte mindestens einen flinken Diener zur Hand, der ihn beschützen und ihm sonstwie von Nutzen sein konnte. Ein Soldat konnte genau wie
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