Der Geheimnisvolle Eremit
Freundlichkeit, die Vater und Tochter ihm erwiesen hatten, derart aufs Spiel zu setzen. Wenn er nicht gesprochen hätte, Annet hätte von sich aus kein Wort gesagt.
Und er hatte nicht gefleht und keine Ausflüchte gemacht. Er war bereit, ohne Klagen anzunehmen, was kommen würde. Kein Beichtvater, so beredt oder schrecklich er auch war, würde dieses schwer faßbare Geschöpf noch einmal so nahe an den Zustand der Bußfertigkeit bekommen.
Eilmund regte sich und lehnte die breiten Schultern bequem gegen die Wand. »Nun, du hast den Baum auf mich fallengelassen und du hast ihn heruntergehoben. Und wenn du glaubst, ich gebe einen entlaufenen Leibeigenen in die Sklaverei zurück, nur weil er mir einige üble Streiche gespielt hat, dann bist du mit Leuten von meinem einfachen Schlag nicht vertraut. Ich glaube, der Schreck, den ich dir an jenem Tag einjagte, war genau die Abreibung, die du gebraucht hast.
Und seitdem hast du mir nichts mehr angetan, denn soweit ich weiß, ist es seit jenem Tage ruhig im Wald. Ich glaube, die Dame ist mit ihrem Handel womöglich etwas unzufrieden. Sei vernünftig und bleib, wo du bist.«
»Ich habe ihm schon gesagt«, sagte Annet mit einem zuversichtlichen Lächeln, »daß du ihm nicht Gleiches mit Gleichem vergelten würdest. Ich habe geschwiegen, weil ich wußte, daß er selbst damit herausrücken würde. Und Bruder Cadfael weiß jetzt, daß Hyacinth kein Mörder ist, und nun hat er das Schlimmste gebeichtet, was er zu beichten hat. Niemand hier wird ihn verraten.«
Nein, gewiß nicht! Aber Cadfael hing etwas besorgt seinen Gedanken nach und überlegte, was jetzt zu tun war. Verrat war mit Sicherheit ausgeschlossen, aber die Jagd würde weitergehen, und möglicherweise würden auch die Wälder noch einmal durchkämmt werden. In der Zwischenzeit ging Hugh jedoch in die Irre, da er sich nach wie vor auf Hyacinth als Hauptverdächtigen konzentrierte, so daß wahrscheinlich jede Spur des wirklichen Mörders verlorenging. Auch Drogo Bosiet hatte gewisse Rechte, so sehr er auch die Rechte anderer einschränkte. Hugh die Beweise für Hyacinths Unschuld vorzuenthalten bedeutete zugleich, den wirklich Schuldigen entkommen zu lassen.
»Wollt Ihr mir vertrauten und mich Hugh Beringar berichten lassen, was Ihr mir erzählt habt? Gebt mir die Erlaubnis«, drängte Cadfael eilig, als er sah, wie sie ihn alle entrüstet anstarrten, »unter vier Augen mit ihm zu reden.«
»Nein!« Annet legte besitzergreifend die Hand auf Hyacinths Schulter, und ihre Augen brannten wie ein frisch entfachtes Feuer. »Nein, Ihr könnt ihn nicht ausliefern! Wir haben Euch vertraut, Ihr könnt uns nicht verraten.«
»Nein, das meine ich nicht. Ich kenne Hugh gut, er würde nicht ohne weiteres einen Leibeigenen der Mißhandlung aussetzen. Er ist eher für Gerechtigkeit als für das Gesetz. Laßt mich ihm nur sagen, daß Hyacinth unschuldig ist, und ihm die Beweise vorlegen. Ich brauche ihm nicht zu erzählen, daß ich weiß, wo er sich befindet, denn Hugh wird meinem Wort glauben. Dann kann er seine Soldaten zurückrufen und Euch in Ruhe lassen, bis Ihr gefahrlos vortreten und für Euch selbst sprechen könnt.«
»Nein!« rief Hyacinth, der mit einer wilden, fließenden Bewegung aufgesprungen war. Seine Augen waren zwei erschreckt zuckende gelbe Flammen. »Kein Wort zu ihm, kein Wort! Wenn wir gewußt hätten, daß Ihr zu ihm gehen wollt, dann hätten wir Euch nicht eingeweiht. Er ist der Sheriff, er muß Bosiets Partei ergreifen – er besitzt selbst ein Gut, er hat selbst Leibeigene – glaubt Ihr, er würde sich gegen meinen rechtmäßigen Herrn auf meine Seite stellen? Aymer würde mich zurückschleppen und lebenslang einsperren.«
Cadfael wandte sich an Eilmund um Hilfe. »Ich schwöre Euch, daß ich den Verdacht von diesem Jungen nehmen kann, wenn ich mit Hugh spreche. Er wird mir glauben und die Jagd abblasen – er wird seine Männer zurückziehen oder in eine andere Richtung schicken. Er muß ja immer noch Richard finden. Eilmund, Ihr kennt Hugh Beringar gut genug, um seine Aufrichtigkeit nicht in Zweifel zu ziehen.«
Aber nein, Eilmund kannte ihn nicht, nicht wie Cadfael. Der Förster schüttelte zweifelnd den Kopf. Ein Sheriff ist und bleibt ein Sheriff und muß dem Gesetz gehorchen, und das Gesetz ist streng und nützt alles in allem eher dem Herrn als dem Bauern, Diener oder dem Besitzlosen. »Er ist ein anständiger, aufrechter Mann, das kann ich ihm zugute halten«, erwiderte Eilmund schließlich.
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