Der Geheimnisvolle Eremit
daß niemand weiß, wohin er gegangen ist.«
»Und nach dem Mörder meines Vaters wird gesucht?«
»Äußerst gründlich. Alle Männer des Sheriffs sind im Einsatz.«
»Ich hoffe, daß auch mein Leibeigener gefunden wird. Es ist mir gleich«, sagte Aymer grimmig, »ob sich herausstellt, daß es sich um ein und denselben Mann handelt. Das Gesetz ist verpflichtet, alles zu tun, um mir mein Eigentum zurückzugeben. Der Schurke ist eine Plage, aber er ist wertvoll.
Ich werde es um keinen Preis zulassen, daß er ungeschoren davonkommt.« Er bleckte die Zähne wie ein wütender Wachhund. Er war groß und hatte lange Gliedmaßen wie sein Vater, doch er war weniger massig und wirkte im Gesicht etwas schlanker; aber er hatte die gleichen, leicht verschleierten Augen, die nur Oberfläche und keine Tiefe zu haben schienen.
Er war etwa dreißig Jahre alt und hatte die Veränderung seines Status sicherlich mit einiger Freude zur Kenntnis genommen. In seiner Stimme schwang die selbstgefällige Zufriedenheit eines Besitzenden mit, und er hatte tatsächlich schon von ›meinem Eigentum‹ gesprochen. Dies war ein Aspekt seines Verlustes, den er gewiß nicht übersah.
»Ich will in der Sache dieses Burschen, der sich Hyacinth nennt, mit dem Sheriff reden. Wenn er fortgelaufen ist, spricht es doch um so mehr dafür, daß er tatsächlich Brand ist und daß er beim Tode meines Vaters die Hand im Spiel hatte. Es liegen bereits schwere Anschuldigungen gegen ihn vor. Ich habe nicht die Absicht, solche Schulden unbezahlt zu lassen.«
»Das ist Sache des weltlichen Rechts, nicht die meine«, erwiderte Abt Radulfus kühl und höflich. »Es gibt keinen Beweis dafür, wer Herrn Drogo tötete. Die Frage ist noch nicht geklärt, aber der Mann wird gesucht. Wenn Ihr mit mir kommen wollt, werde ich Euch in die Kapelle führen, in der Euer Vater aufgebahrt ist.«
Aymer trat an den Sarg, der offen auf der mit Decken verhangenen Bahre stand. Das Licht der hohen Kerzen, die am Kopf-und Fußende des Sarges brannten, zeigte keine tiefgreifende Veränderung im Gesicht des Sohnes. Er starrte mit zusammengezogenen Augenbrauen seinen toten Vater an, doch es war eher das Stirnrunzeln eines Mannes, der viel zu tun hat, als das eines trauernden oder zornigen Sohnes angesichts des toten Vaters.
»Es bekümmert mich sehr«, sagte der Abt, »daß ein Gast unseres Hauses ein so schlimmes Ende fand. Wir haben eine Messe für seine Seele gelesen, doch weiter kann ich leider nichts tun. Ich hoffe, daß die Gerechtigkeit siegen wird.«
»Ich ebenfalls!« stimmte Aymer zu, doch seine Stimme klang abwesend; er war mit anderen Dingen beschäftigt. »Ich muß ihn zur Beerdigung mit nach Hause nehmen. Aber ich kann noch nicht aufbrechen. Diese Suche darf nicht so rasch aufgegeben werden. Ich muß heute nachmittag in die Stadt reiten und Euren Meister Tischler aufsuchen und bei ihm einen Sarg mit einer Bleiverkleidung in Auftrag geben. Schade, daß er nicht hier beerdigt werden kann, doch alle Männer unseres Hauses liegen in Bosiet. Meine Mutter wäre es sonst nicht zufrieden.«
Er sagte es mit einem leicht gereizten Unterton. Wäre nicht die Notwendigkeit gewesen, eine Leiche nach Hause zu überführen, er wäre erheblich länger geblieben, um seiner Jagd nach dem entflohenen Leibeigenen nachzugehen. Doch er wollte die Zeit so gut wie möglich nutzen, und Radulfus kam zu der Ansicht, daß der Sohn vor allem den Leibeigenen und nicht etwa den Mörder seines Vaters fassen wollte.
Zufällig überquerte Cadfael gerade den Hof, als der Neuankömmling früh am Nachmittag wieder aufs Pferd stieg. Er hielt inne und zog sich etwas zurück, um Drogos Sohn interessiert zu mustern. An der Identität konnte kein Zweifel bestehen, denn er war seinem Vater ähnlich, wenn auch dieser jüngere Mann ein wenig milder schien. Die eigenartig flachen Augen, die durch die fehlenden Schatten so seltsam verkleinert schienen, zeigten die gleiche oberflächliche Bosheit. Sein Umgang mit dem Pferd, als er in den Sattel stieg, war weit rücksichtsvoller als dem Knecht gegenüber. Die Hand, die das Zaumzeug hielt, wurde mit dem Peitschenstiel zur Seite gefegt, sobald er im Sattel saß, und als Warin vor dem Schlag so hastig zurückwich, daß das Pferd scheute und unruhig auf dem Pflaster herumtrampelte, den Kopf hochwarf und schnaubte, versetzte der Reiter dem Mann so gleichgültig und mit so wenig offensichtlicher Wut einen Peitschenschlag, daß jedem Beobachter klar wurde, daß dies eben
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