Der Geheimnisvolle Eremit
ihn mehr kostet, als sein Haß wert ist. So muß es irgendwann zweifellos kommen. Er hat daheim sein Land, um das er sich kümmern muß.«
Es blieb offen, ob Hyacinth nach den üblichen Maßstäben ein vernünftiger Junge war. Er saß völlig still und zeigte wieder jene Spannung, die sich jeden Augenblick in heftigen Bewegungen äußern konnte, und auf seinen glatten Wangen und seiner Stirn schimmerte das Herdfeuer und gab seiner bronzenen Haut einen goldenen Glanz. Annet, die neben ihm auf der gepolsterten Bank an der Wand saß, war ihm sehr ähnlich.
Auch ihr Gesicht war unbewegt, doch ihre Augen strahlten wie Saphire. Sie ließ zu, daß man in ihrer Gegenwart über sie redete, ohne ein Wort einzuwerfen, und sie berührte nicht einmal Hyacinths schlanke Schultern, um ihm noch einmal die Ernsthaftigkeit ihrer Vorsätze deutlich zu machen. Die anderen mochten Zweifel über Annets Zukunftsaussichten haben; sie selbst hatte keine.
»Richard hat Euch sofort verlassen, nachdem er Euch die Warnung überbracht hatte?« fragte Cadfael.
»So ist es. Hyacinth wollte ihn zum Waldrand begleiten«, erzählte Annet, »aber das wollte Richard nicht. Er wollte erst fortgehen, wenn Hyacinth sich versteckt hatte, und das versprachen wir ihm. Dann ritt er über den Weg zurück. Und wir gingen in die Hütte zu meinem Vater, wie er Euch schon gesagt hat, und auf dem Weg hierher sahen wir keinen Menschen.
Richard ist sicher nicht einmal in die Nähe von Eaton gekommen, sonst hätte ihn seine Großmutter geschnappt. Er wollte heim ins Bett.«
»Das dachten wir alle«, räumte Cadfael ein, »unter anderem auch Hugh Beringar. Trotzdem war er schon früh dort und stellte das Gut auf den Kopf, ohne den Jungen zu finden. Ich glaube, John von Longwood und die anderen im Haus hätten es ihm gesagt, wenn sie Richard gesehen hätten. Frau Dionisia ist eine beeindruckende Person, aber Richard ist der Herr von Eaton, und ihm und nicht etwa ihr sind die Leute in Zukunft Gehorsam schuldig. Wenn sie es nicht wagten, in ihrer Gegenwart zu sprechen, dann hätten sie es leise hinter ihrem Rücken getan. Nein, er ist nicht dort.«
Die Zeit der Vesper war schon lange vorbei. Selbst wenn er sich sofort auf den Rückweg machte, würde er zur Komplet zu spät kommen, doch er blieb sitzen und bedachte die veränderte Lage. Er forschte nach dem besten Ausweg, doch man konnte anscheinend nichts Besseres tun als warten und versuchen, den Häschern aus dem Wege zu gehen. Er war froh, daß Hyacinth kein Mörder war; es war eine große Erleichterung.
Doch es war eine ganz andere Sache, zu verhindern, daß Bosiet ihn in die Hände bekam.
»Um Himmels willen, Junge«, sagte er seufzend, »was habt Ihr denn Eurem Lehnsherrn dort in Northamptonshire angetan, daß er Euch so bitter haßt? Habt Ihr wirklich seinen Aufseher angegriffen?«
»Das tat ich«, gab Hyacinth zufrieden zu, und in seinen Augen flammte ein roter Funke auf. »Es war unmittelbar nach der Ernte. Ein Mädchen sammelte auf einem Feld die Überreste zusammen. Kein Mädchen, das er allein antraf, war vor ihm sicher. Ich war zufällig in der Nähe. Er hatte einen Stock, und er ließ sie los, um mich auf den Kopf zu schlagen, als ich ihn angriff. Ich holte mir ein paar Prellungen, aber er blieb bewußtlos auf den Steinen am Ackerrand liegen. Ich konnte nichts tun als weglaufen. Ich hatte nichts zu verlieren, ich besaß kein Land – Drogo hatte meinem Vater zuvor die Pacht gekündigt. Er war sterbenskrank damals, und ich hatte die ganze Arbeit zu tun, die Felder bestellen und Bosiets Erntearbeit dazu, und am Ende hatten wir große Schulden. Wir waren ihm schon lange ein Dorn im Auge, weil ich angeblich seine Leibeigenen gegen ihn aufgehetzt hatte… Aber ich habe mich nur für ihre Rechte eingesetzt. Auch für Leibeigene gibt es Gesetze zum Schutz von Leib und Leben, aber die sind auf Bosiets Gütern nicht gültig. Er hätte mich dafür, daß ich den Aufseher angegriffen hatte, umbringen können – er hätte mich aufhängen können, wenn ich ihm nicht nützlich gewesen wäre.
Aber es war die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte.«
»Inwiefern wart Ihr nützlich für ihn?« fragte Cadfael.
»Ich bin geschickt in feinen Lederarbeiten – Gürtel, Wamse, Geldbörsen und so weiter. Nachdem er mir das Land genommen hatte, bot er mir an, mir das Haus zu lassen, wenn ich mich verpflichtete, nur noch für ihn zu arbeiten. Ich hatte keine Wahl, ich war ja sein Leibeigener. Ich begann, noch schönere
Weitere Kostenlose Bücher