Der Geheimnisvolle Eremit
die Art war, wie man mit Untergebenen umzugehen hatte. Er nahm den jüngeren Knecht mit sich in die Stadt und ritt dabei auf dem Pferd seines Vaters, das ausgeruht war und sich nach Bewegung sehnte. Zweifellos war Warin nur zu froh, einige Stunden allein zurückzubleiben.
Cadfael überholte den Mann und begleitete ihn auf dem Rückweg zu den Ställen. Warin drehte den Kopf, um Cadfael seine rasch heilende Prellung zu zeigen, die gelb war wie altes Pergament. Im Mundwinkel war noch die abheilende Narbe zu sehen.
»Ich habe zwei Tage nicht mehr nach Euch geschaut«, sagte Cadfael, indem er die alten Spuren der Gewalt betrachtete und aufmerksam nach neuen forschte. »Kommt doch mit mir in den Kräutergarten und laßt mich den Riß noch einmal versorgen.
Ich bin sicher, daß er ein oder zwei Stunden ausbleiben wird, so könnt Ihr etwas Atem schöpfen. Und jetzt, da die Wunde sauber ist, scheint die Zeit richtig für eine zweite Behandlung.«
Warin zögerte einen Moment. »Sie haben die beiden frischen Pferde genommen, und ich soll in der Zwischenzeit die beiden anderen versorgen. Aber die können noch eine Weile warten.«
Und er ging bereitwillig mit Cadfael. Diesem mageren Mann, der ein wenig vor der Zeit ergraut war, schien die Abwesenheit seines Herrn wohlzutun. In der duftenden, kühlen Hütte unter den leise raschelnden Kräutern, die an den Deckenbalken trockneten, saß er behaglich und zufrieden und ließ seine Wunde baden und einsalben. Er hatte es, als Cadfael mit ihm fertig war, nicht eben eilig, zu den Pferden zurückzukehren.
»Er ist noch hitziger hinter Brand her als sein Vater«, sagte er, während er hilflos, aber mitfühlend das Schicksal seines ehemaligen Nachbarn bedachte. »Er ist hin-und hergerissen; einerseits will er ihn hängen, andererseits will er ihn in seiner Gier bis zum Umfallen arbeiten lassen. Dabei hängt seine Entscheidung nicht davon ab, ob Brand den alten Herrn getötet hat, denn zwischen den beiden herrschte nicht gerade eitel Sonnenschein. Im ganzen Haus war es so. Beide haben lieber gehaßt als geliebt.«
»Gibt es noch mehr von dieser Sorte?« fragte Cadfael neugierig. »Hinterläßt Drogo eine Witwe?«
»Eine arme, schwache Frau, die völlig ausgezehrt ist«, erklärte Warin. »Doch sie ist von höherer Geburt als die Bosiets und hat mächtige Verwandte, also muß sie besser behandelt werden als alle anderen. Und Aymer hat einen jüngeren Bruder.
Er ist nicht so laut und gewalttätig, er ist klüger und viel wendiger. Mehr gibt es nicht, aber die paar sind schon mehr als genug.«
»Und die Söhne sind unverheiratet?«
»Aymer hatte einmal eine Frau, aber sie war kränklich und starb in jungen Jahren. Nicht weit von Bosiet entfernt gibt es eine Erbin, um die beide Brüder werben – aber genaugenommen geht es nur um die Ländereien. Da Aymer nun der Erbe ist, wird Roger seine Bemühungen wahrscheinlich verdoppeln. Nicht, daß es lange halten wird, wenn er erst hat, was er will.«
Ganz egal, wer den Wettbewerb gewann, die Aussichten für das Mädchen waren recht unerfreulich. Immerhin wäre dies aber ein weiterer Grund für Aymer, möglichst schnell nach Hause zurückzukehren, wollte er nicht ins Hintertreffen geraten.
Cadfael schöpfte neuen Mut. Die Abwesenheit von einem gerade geerbten Landgut konnte sogar gefährlich sein, wenn ein kluger und hinterlistiger jüngerer Bruder zurückgeblieben war, der die Gelegenheit zu nutzen wußte. Aymer mußte dies klar sein, auch wenn er nur widerwillig seinen Rachefeldzug gegen Hyacinth aufgab. Cadfael konnte sich nicht an den Namen Brand gewöhnen; der Name, den sich der Junge selbst gegeben hatte, schien viel besser zu ihm passen.
»Ich frage mich nur«, sagte Warin, unvermutet auf den Flüchtigen zurückkommend, »wohin Brand gegangen ist. Wie gut für ihn – nicht, daß mein Herr dies beabsichtigt hätte –, daß man zuerst glaubte, ein Mann mit seinem Talent wäre nach London gegangen. Sie haben eine ganze Woche darauf verschwendet, alle Straßen nach Süden abzusuchen. Wir waren schon hinter Thame, als einer seiner Männer uns einholte und uns berichtete, daß Brand in Northampton gesehen worden war. Also wandten wir uns nach Norden und hielten uns dabei etwas westlich, denn Drogo glaubte, daß der Flüchtige nach Wales wollte. Ich frage mich, ob er die Grenze erreicht hat. Nicht einmal Aymer würde ihm über die Grenze folgen.«
»Und Ihr habt unterwegs keine weitere Spur von ihm gefunden?« fragte Cadfael.
»Nein,
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