Der Geheimnisvolle Eremit
»Aber ich würde es nicht wagen, das Leben dieses Jungen in die Hände eines Offiziers des Königs zu legen. Nein, laßt alles, wie es ist, Cadfael. Sprecht mit niemand ein Wort, solange Bosiet noch in der Gegend ist.«
Nun hatten sie sich gegen ihn verbündet. Er bemühte sich, ihnen zu erklären, welche Erleichterung es wäre, wenn sie wüßten, daß die Jagd auf Hyacinth abgeblasen war und daß seine Unschuld, wenn auch nur unter vier Augen, dem Sheriff bewiesen war. Er könnte dadurch an anderer Stelle nach Drogos Mörder suchen lassen und so auch die Möglichkeit bekommen, die Suche nach Richard gründlicher und mit mehr Männern zu betreiben, nachdem das Kind offenbar irgendwo im Wald verschwunden war. Aber auch sie hatten ihre Argumente, und die waren nicht von der Hand zu weisen.
»Selbst wenn Ihr es unter vier Augen dem Sheriff erzählt«, sagte Annet, »und selbst wenn er Euch wirklich glaubt, dann hat Hyacinth es immer noch mit Bosiet zu tun. Und der junge Bosiet wird wie der alte darauf bestehen, daß der Entlaufene sich irgendwo hier versteckt, ob er ein Mörder ist oder nicht. Er wird schließlich sogar Hunde benutzen, wenn der Sheriff seine Männer abzieht. Nein, sagt zu niemand ein Wort, noch nicht.
Wartet, bis sie aufgeben und heimkehren. Dann werden wir herauskommen. Versprecht es uns! Versprecht uns, bis dahin zu schweigen!«
Er konnte nichts weiter tun. Er versprach es. Sie hatten ihn ins Vertrauen gezogen, und gegen ihre entschlossene Weigerung konnte er sich nicht durchsetzen. Er seufzte und gab sein Versprechen.
Es war schon spät, als er sich endlich erhob, um zur Abtei zurückzureiten. Er hatte diesen Menschen ein Versprechen gegeben, und er hatte auch Hugh ein Versprechen gegeben, ohne daran zu denken, wie schwer es zu halten sein könnte. Er hatte gesagt, daß Hugh es vor jedem anderen erfahren sollte, wenn er etwas zu berichten hatte. Eine feinsinnige, wenn auch arglose Wortwahl. Ein entschlossener Geist konnte hier einige Schlupflöcher finden, doch was er gemeint hatte, war Cadfael selbst so klar gewesen wie Hugh. Und nun konnte er sein Wort nicht einlösen. Nicht, solange Aymer Bosiet sich nicht besann, die Kosten seiner Rache berechnete und darauf kam, daß es besser war, heimzukehren und sein Erbe zu genießen. In der Türe drehte er sich noch einmal um und stellte Hyacinth eine letzte Frage, die ihm plötzlich in den Sinn gekommen war.
»Was ist mit Cuthred? Ihr beide habt eng beisammen gelebt – hatte er mit den Unglücksfällen in Eilmunds Wald zu tun?«
Hyacinth starrte ihn ernst und etwas überrascht an. Er riß die Bernsteinaugen weit auf. »Wie sollte er?« antwortete er. »Er verläßt seine Klause nie.«
Aymer Bosiet ritt am nächsten Tag gegen Mittag in den großen Hof der Abtei ein. Ein junger Knecht begleitete ihn.
Bruder Denis, der für die Gäste verantwortlich war, hatte Befehl, ihn sofort nach seiner Ankunft zu Abt Radulfus zu bringen, denn der Abt wollte die Aufgabe, ihm vom Tod seines Vaters zu berichten, keinem anderen überlassen. Anscheinend war diese Behutsamkeit überflüssig. Der Sohn nahm die Nachricht und die Folgerungen aus ihr schweigend auf, und nachdem er sie schließlich verdaut und bewältigt hatte, gab er seiner Trauer einen angemessenen Ausdruck. Doch hinter dem weniger herrischen und brutalen Gesicht als dem des Vaters schien ein gerissener, berechnender Verstand zu arbeiten, denn während die Gesichtszüge wenig von der mit Worten geäußerten Bekümmerung verrieten, ging in seinem Kopf einiges vor. Er dachte über den Vorfall nach, der ihm einige unangenehme Pflichten auferlegte. Er mußte sich einen Sarg und einen Karren beschaffen und Helfer für die Rückreise nach Hause bezahlen und unterdessen die Zeit, die ihm noch blieb, möglichst gut einteilen. Radulfus hatte bei Martin Bellecote, dem Tischler der Stadt, bereits einen schlichten Innensarg für den Leichnam bestellt. Dieser Sarg war noch nicht geschlossen worden, da man Aymer Gelegenheit geben wollte, sich von Angesicht zu Angesicht von seinem Vater zu verabschieden.
Der Sohn dachte eine Weile nach und fragte schließlich unvermittelt und scharf: »Dann hat er unseren entlaufenen Leibeigenen noch nicht gefunden?«
»Nein«, antwortete Radulfus, und wenn er erschüttert war, dann gelang es ihm, seine Gefühle zu verbergen. »Es gab Hinweise, daß der junge Mann in dieser Gegend sei, aber man war nicht sicher, ob der fragliche junge Mann tatsächlich der Gesuchte war. Ich glaube,
Weitere Kostenlose Bücher