Der Geheimnisvolle Eremit
drehte den schönen jungen Kopf zu seinem Bruder herum, schenkte ihm einen Blick aus aquamarinblauen Augen, die von innen heraus zu strahlen schienen, lächelte und entfernte sich. Nicht um zu warten und seine Arbeit zu beenden, nachdem Cadfael seine Gebete gesprochen hatte, nicht um sich in den Schatten zu verstecken und zuzusehen, sondern er entfernte sich wissend, auf geschwinden, beweglichen und leisen Füßen, die sich einst nur lahm und unter Schmerzen bewegt hatten, um dem Bruder die ganze Weite der Kuppel für seine laut gesprochenen Gebete zu überlassen.
Cadfael erhob sich getröstet, doch ohne den Grund zu kennen und ohne nach einem Grund zu fragen, von den Knien.
Draußen verblaßte das Licht, und hier drinnen waren die Altarlampe und St. Winifreds Duftkerzen in einer weiten, alles umspannenden Finsternis kleine strahlende Inseln, die wie ein armer Mantel vor der Kälte der Außenwelt schützten. Die Gnade, deren Berührung Cadfael gerade gespürt hatte, reichte weit genug, um auch Richard zu finden, wo immer er war, um ihn zu befreien, wenn er ein Gefangener war, um ihn zu trösten, wenn er sich ängstigte, um ihn zu heilen, wenn er Schmerzen hatte.
Cadfael verließ den Chor, umrundete den Gemeindealtar und ging im Gefühl, das Wichtigste getan zu haben, durchs Kirchenschiff. Nun konnte er zufrieden und geduldig abwarten, bis sich die Gnade offen zeigte.
Anscheinend hatte auch Rafe von Coventry ernste und persönliche Gebete zu sprechen, denn er erhob sich gerade im leeren und stillen Kirchenschiff von den Knien, als Cadfael kam.
Er begrüßte den Bruder mit einem verhaltenen, aber freundlichen Lächeln, das von den Lippen sogleich wieder verschwand, in den Augen jedoch als freundliches Funkeln bestehen blieb.
»Guten Abend, Bruder!« Die beiden Männer näherten sich der Südtür. »Ich hoffe, Ihr entschuldigt«, sagte Rafe, »daß ich gestiefelt und gespornt und staubig vom Reiten in die Kirche kam, doch es war schon spät, und ich hatte keine Zeit mehr, mich angemessen zu kleiden.«
»Wie Ihr auch ausseht, Ihr seid willkommen«, erwiderte Cadfael. »Nicht jeder, der bei uns beherbergt wird, läßt sich auch in der Kirche blicken. Wir haben uns in den letzten zwei Tagen kaum gesehen, da ich in anderen Angelegenheiten unterwegs war. Sind Eure Geschäfte hier erfolgreich verlaufen?«
»Auf jeden Fall besser als für einen Eurer Gäste«, sagte Rafe, indem er zur schmalen Tür blickte, die zur Friedhofskapelle führte. »Aber nein, ich habe noch nicht gefunden, was ich brauche.«
»Sein Sohn ist inzwischen eingetroffen«, erklärte Cadfael, der den Blick bemerkt hatte. »Er kam heute morgen.«
»Ich habe ihn gesehen«, sagte Rafe. »Er kehrte kurz vor der Vesper aus der Stadt zurück. Seinem Aussehen und seinem Auftreten nach hatte er keinen Erfolg, was immer er zu tun hatte. Ich glaube, er sucht einen Mann?«
»Ganz recht. Den jungen Mann, von dem ich Euch erzählte«, antwortete Cadfael trocken und beobachtete seinen Gefährten aus den Augenwinkeln, als sie am beleuchteten Gemeindealtar vorbeikamen.
»Ja, ich erinnere mich. Dann ist er mit leeren Händen zurückgekommen, denn kein armer Wicht war an sein Pferd gebunden.« Doch Rafe waren junge Männer und die Bosiets anscheinend völlig gleichgültig. Seine Gedanken drehten sich um andere Dinge. Am Almosenkasten neben dem Altar blieb er plötzlich stehen, griff in die Gürteltasche und zog eine Handvoll Münzen heraus. Eine von ihnen glitt ihm durch die Finger, doch er bückte sich nicht sofort, um sie aufzuheben. Vielmehr steckte er zunächst drei andere in den Kasten, bevor er die heruntergefallene Münze suchte. Cadfael hatte sie unterdessen schon von den Kacheln auf dem Boden aufgehoben und hielt sie in der offenen Hand.
Wenn sie nicht im Licht der Altarkerzen gestanden hätten, wäre ihm nichts aufgefallen. Es war eine Silbermünze wie viele, das am häufigsten benutzte Zahlungsmittel. Und doch war sie anders als alle, die er bisher im Almosenkasten gesehen hatte.
Sie glänzte makellos, doch sie war unsauber geprägt und wog leicht. Um das Kreuz auf der Rückseite stand in schiefen Buchstaben der Name des Münzprägers. Es war ein gewisser Sigebert, von dem Cadfael noch nie gehört hatte. Und als er die Münze umdrehte, sah er nicht das vertraute Profil von König Stephen und auch nicht das Gesicht des toten Königs Henry, sondern unverkennbar das Antlitz einer Frau mit Krone und Schleier. Den Namen am Rand brauchte er schon nicht
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