Der Geheimnisvolle Eremit
Mitten im Fluß zügelte Richard sein Pferd einen Moment und sah sich um, denn die weiten, offenen grünen Wiesen gaben ihm das Gefühl, nackt und ausgeliefert zu sein.
Er war aus mehr als einer Meile Entfernung zu sehen, eine kleine dunkle Gestalt auf einem Pferderücken, schutzlos und verletzlich in einer Landschaft aus Wasser, perlmuttfarbenem Licht und blassen Farben.
Und dort hinten, in vollem Galopp auf die Furt zuhaltend und auf dem gleichen Weg, den auch er benutzt hatte, noch fern und klein, aber eindeutig ihn verfolgend, kam ein einzelner Reiter auf einem großen, hellgrauen Pferd. Fulke Astley war grimmig entschlossen, seinen abtrünnigen Schwiegersohn einzuholen.
Richard stürmte in hohen Gischtwolken durch die Untiefen und galoppierte in westlicher Richtung durch die Feuchtwiesen, um den Weg zu erreichen, der ihn nach etwas mehr als vier Meilen nach St. Giles bringen würde. Von dort aus war es nicht mehr weit bis zum Torhaus der Abtei. Doch zunächst mußte er mehr als eine Meile zurücklegen, bevor er im hügeligen Gelände und zwischen verstreuten Hainen eine Deckung finden konnte. Selbst dort konnte er kaum hoffen, den Verfolger abzuschütteln, da dieser ihn inzwischen gewiß ebenso ausgemacht hatte wie er ihn. Sein Pony war dem weit ausgreifenden Schecken nicht gewachsen. Dennoch war Geschwindigkeit seine einzige Hoffnung. Er hatte immer noch einen guten Vorsprung, auch wenn er den größten Teil verloren hatte, als er darauf wartete, sicher die Furt überqueren zu können. Er gab dem Pony die Sporen, biß die Zähne zusammen und schlug die Richtung nach Shrewsbury ein, als wäre ihm ein Wolfsrudel auf den Fersen.
Das Gelände stieg zu niedrigen, mit Bäumen und Buschgruppen bewachsenen Hügeln an, die Jäger und Wild voreinander verbargen, doch die Distanz zwischen ihnen wurde ständig kleiner, und wenn der Weg ein Stück weit eben und ungeschützt war und Richard besorgt über die Schulter zurückblicken konnte, sah er jedesmal seinen Feind näher als zuvor. Schließlich bezahlte er seine Unaufmerksamkeit mit einem weiteren Sturz, doch er ließ diesmal nicht die Zügel fahren und ersparte sich so den schlimmsten Schreck und die Mühe, sein Pony wieder einzufangen. Schmutzig, angeschlagen und wütend auf sich selbst kletterte er wieder in den Sattel und ritt im Galopp davon. Er spürte Astleys starren Blick wie einen Dolch im Rücken. Es war ein Glück, daß das Pony ein kräftiges Tier aus Wales war, das einige Tage keine Bewegung bekommen hatte, und daß es ein so leichtes Gewicht trug. Dennoch ritt Richard für das Tier viel zu schnell; er wußte es und machte sich deshalb Vorwürfe, doch er konnte nicht anders. Als endlich der Zaun von St. Giles auftauchte und der Weg sich zu einer Straße verbreiterte, hörte er ein Stück hinter sich schon den Hufschlag des Verfolgers. Auch hier hätte er Schutz und Zuflucht finden können, denn das Spital wurde von der Abtei betrieben, und Bruder Oswin hätte ihn, es sei denn auf Befehl des Abtes, keinem Fremden ausgeliefert. Doch er hatte keine Zeit, anzuhalten und vom Weg abzuschwenken.
Richard drückte sich flach auf den Rücken seines Ponys und galoppierte durch die Vorstadt. Er erwartete jeden Augenblick, Fulke Astleys massigen Schatten neben sich auf der Straße zu sehen und von einer großen Hand, die sein Zaumzeug faßte, aufgehalten zu werden. Nun ging es um die Ecke der Abteimauer und das weite Wegstück bis zum Torhaus hinunter.
Handwerker und Dörfler, die gerade ihr Tagewerk beendet hatten und heimkehrten, und Kinder und Hunde, die auf der Straße gespielt hatten, stoben auseinander.
Als Richard in vollem Galopp durchs Torhaus stürmte, war Fulke Astley ganze fünf Meter hinter ihm.
An diesem Abend wurde der Vespergottesdienst von einigen Gästen der Abtei besucht, wie Cadfael von seinem Platz im Chorgestühl aus bemerkte. Rafe von Coventry war da, schweigsam und unauffällig wie immer; und sogar Aymer Bosiet. Nachdem er den Tag mit der Verfolgung seines verlorenen Eigentums verbracht hatte, saß er nun mit bekümmertem, grimmigen Gesicht hier in der Kirchenbank, wahrscheinlich, um vom Himmel eine brauchbare Spur zu erflehen. Seinem Aussehen nach hatte er gewichtige Dinge im Sinn, denn seine Stirn blieb die ganze Vesper über gerunzelt wie bei einem Mann, der vor einer Entscheidung steht.
Vielleicht sah er sich durch die Notwendigkeit, sich das gute Verhältnis zur Verwandtschaft seiner Mutter zu erhalten, genötigt, sogleich mit Drogos
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