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Der Geheimnisvolle Eremit

Der Geheimnisvolle Eremit

Titel: Der Geheimnisvolle Eremit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Kapelle nicht ausleuchten konnte. Dionisia war sehr aufgebracht.
    »Mein Herr, was hat das zu bedeuten? Was tut Ihr mit diesen heiligen Dingen? Und wo ist Cuthred? Habt Ihr es gewagt, in seiner Abwesenheit herumzuschnüffeln?«
    Der Abt trat noch weiter zwischen sie und den toten Mann und machte Anstalten, sie aus der Kapelle zu führen.
    »Madam, Ihr sollt es erfahren, aber ich bitte Euch, in den anderen Raum zu kommen und Euch zu setzen und einen Augenblick zu warten, bis wir alles in Ordnung gebracht haben.
    Ich versichere Euch, hier ist nichts Heimliches geschehen.«
    Als nun Astley über ihre Schulter blickte, wurde es noch dunkler. Der Mann versperrte den Ausgang, durch den der Abt sie drängen wollte. So blieb sie stehen, herrisch und empört.
    »Wo ist Cuthred? Weiß er, daß Ihr hier seid? Wie kommt es, daß er seine Klause verlassen hat? Das tut er doch nie.« Die Lüge brach mit einem scharfen Laut ab. Neben dem Gewand des Abtes hatte sie einen kleinen bleichen Fleck zwischen dem Gewirr der dunklen Gewänder entdeckt, einen Fuß, der die Sandale verloren hatte. Inzwischen konnte sie besser sehen.
    Sie wich der Hand des Abtes aus und schob sich energisch an ihm vorbei. Alle ihre Fragen wurden mit einem Blick beantwortet. Cuthred war tatsächlich hier und hatte seine Klause nicht verlassen.
    Ihr längliches, edles Gesicht wurde wachsgrau und schien sich aufzulösen. Die scharfen Falten erschlafften. Sie stieß einen lauten Klageschrei aus, eher vor Schreck als vor Kummer, und sank rücklings in die Arme von Fulke Astley.

13. Kapitel
    Sie verlor nicht das Bewußtsein, und sie weinte auch nicht.
    Sie war eine Frau, die beides nicht ohne weiteres tat. Doch sie saß eine ganze Weile bolzengerade auf Cuthreds Pritsche im Wohnraum, hölzern und sehr bleich, und starrte ins Leere, durch die Steinmauer vor ihrem Gesicht hindurch in weite Ferne. Es war zweifelhaft, ob sie irgendeines der sorgfältig gewählten Worte des Abtes hörte oder ob sie die ungestümen Ausbrüche Astleys vernahm. Teils mit Galanterien, die sie weder brauchte noch wollte, versuchte er ihr Trost zu spenden.
    Dann wieder erklärte er erbost, daß dieses Verbrechen alle Fragen unbeantwortet lasse, um nicht eben logisch fortzufahren, es sei der Beweis dafür, daß der Einsiedler tatsächlich ein Priester gewesen und die von ihm geschlossene Ehe gültig sei. Sie achtete nicht auf ihn. Sie war weit über derartige Überlegungen hinaus. Alle ihre Pläne waren hinfällig geworden. Sie hatte mehr als einen plötzlichen Todesfall ohne Beichte und Absolution gesehen, und sie wollte nichts damit zu tun haben. Cadfael las es in ihren Augen, als er die Kapelle verließ, nachdem er so gut wie möglich versucht hatte, Cuthreds Körper gerade und schicklich auszurichten, da dieser nun alles verraten hatte, was es zu verraten gab.
    Sie war durch diesen Tod mit ihrem eigenen konfrontiert worden, und sie hatte nicht die Absicht, ihm mit all den Sünden zu begegnen, die sie auf sich geladen hatte. Und wenn überhaupt, dann erst in vielen Jahren; doch sie hatte die Warnung verstanden, daß der Tod vielleicht nicht warten würde, bis sie von sich aus bereit war.
    Endlich fragte sie mit völlig ruhiger, alltäglicher Stimme, vielleicht etwas weicher als der Ton, den sie sonst gegenüber ihren Bediensteten oder Pächtern anschlug, doch ohne sich zu regen und ohne die Augen von ihrem ärgsten Feind zu wenden:
    »Wo ist der Sheriff?«
    »Er ist gegangen, um Männer zu holen, die den Einsiedler forttragen können«, antwortete der Abt. »Nach Eaton, falls Ihr dies wünscht, damit er dort bestattet werden kann, denn Ihr wart seine Herrin, oder, wenn Ihr Euch die schmerzlichen Erinnerungen ersparen wollt, zur Abtei. Auch dort wird er in aller Form empfangen werden.«
    »Ich wäre Euch dankbar«, sagte sie langsam, »wenn Ihr ihn nehmen könntet. Ich weiß gar nicht, was ich denken soll. Fulke hat mir berichtet, was mein Enkelsohn gesagt hat. Der Einsiedler kann nicht mehr für sich selbst sprechen, und auch ich kann nichts dazu sagen. Ich habe unbesehen geglaubt, daß er ein Priester war.«
    »Daran, Madam«, erwiderte Radulfus, »habe auch ich nie gezweifelt.«
    Sie starrte jetzt nicht mehr ins Leere, und in ihr wächsernes Gesicht war etwas Farbe zurückgekehrt. Sie war auf dem Weg zurück ins Leben, und bald würde sie wieder aufstehen, sich zusammennehmen und der wirklichen Welt um sie herum zuwenden, statt sich in der öden Ferne des Jüngsten Gerichtes zu verlieren.

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