Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
waren so schwierig, und sie musste damit allein zurechtkommen, ohne den Rat der Eltern. Warum nur hatte sie unbedingt nach Australien gehen müssen? Hätte sie doch nur auf Vater gehört! Er wollte ja nie, dass sie ging.
In diesem Anfall von Selbstmitleid befreite sie sich aus Georgs sanfter Umarmung und schlang ihm beide Arme um den Hals. Georg schien vor Überraschung nicht recht zu wissen, wohin mit seinen Händen, doch dann legte er sie um Helenes schmale Taille und zog sie langsam an sich. Helene wurde bewusst, dass sie sich nicht länger wie Bruder und Schwester umarmten, sondern wie Mann und Frau. Sie löste ihren Kopf von seiner Brust und sah ihn an. In seinen verwunderten Augen las sie Zuneigung, aber auch etwas Forschendes, so als suche er nach der Antwort auf eine überaus wichtige Frage. Sie lächelte ihn unsicher an, wollte ihn aber noch nicht loslassen. Helenes Lächeln erwidernd, wischte er ihre Wangen mit dem Handrücken trocken und drückte sie abermals fest an sich. Helene ließ es geschehen, genoss es sogar. Dann sah sie plötzlich Anna in der Tür stehen. Langsam löste sie ihre Hände von Georgs Nacken, wand sich aus seiner Umarmung.
»Anna«, sagte sie erschrocken. Sie fühlte sich ertappt, dabei hatte sie doch gar nichts getan. War das, weil Anna einfach nur schweigend im Raum stand? Wie lange sie wohl schon dort gestanden hatte – ihren Schwager und sie beobachtend? Georgs Blick glitt zwischen den Frauen hin und her. Er machte auf Helene nicht den Eindruck, als wollte er die Harmlosigkeit der Situation erklären. Anna war inzwischen auf die beiden zugegangen, umarmte erst Helene, dann Georg. Helene war nicht ganz wohl dabei, sie beschlich das unangenehme Gefühl, dass Anna die Situation missverstanden hatte. Dabei war es doch klar, dass Georg sie nur tröstete, oder etwa nicht? Helene schaute Georg und Anna an, die sich gerade aufs herzlichste umarmten, einander auf die Schulter klopften. Es war wohl besser, ein paar klärende Worte zu sagen, doch noch bevor sie den Mund öffnen konnte, nahm Anna sie an die eine Hand und Georg an die andere. Lächelnd blickte sie mal zum einen, dann zum anderen.
»Liebste Freundin«, sagte sie schließlich, »es fällt mir schwer, in Worte zu fassen, wie glücklich ich bin, dich als Freundin zu wissen. Dein immerwährender Optimismus, deine Begeisterung und deine praktische Art sind für mich ein wahrer Quell nie versiegender Freude. Du ergänzt mich.« Helene blickte verlegen zu Boden, trat von einem Fuß auf den anderen, als stünde sie auf glühenden Kohlen. Am liebsten wäre sie einfach weggerannt. Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihrer Magengrube aus. Sie hob vorsichtig den Blick und bemerkte, dass Georg sie anlächelte, während Anna sie geradezu anstrahlte. Als sich die Blicke der Frauen trafen, drückte Anna die Hand der Freundin noch ein wenig fester. Helene wollte etwas sagen, irgendetwas, das ein wenig Leichtigkeit in diese, wie es ihr erschien, unnötig ernste Lage bringen könnte. Doch wieder kam ihr Anna zuvor, die jetzt den Kopf schüttelte.
»Entschuldige, ich rede die ganze Zeit nur von mir – wie selbstsüchtig! Es ist nur so … Georg und du, ihr seid mir neben Johannes und meinem Sohn die wichtigsten Menschen, noch vor den geliebten Schwiegereltern. Und seit du zu uns nach Neu Klemzig gefunden hast, liebste Helene, habe ich mir für dich – für euch! – nichts sehnlicher gewünscht, als dass ihr zueinanderfindet. Ja, ich weiß, es ist ein selbstsüchtiger Wunsch, aber ich fühle ganz tief im Herzen, dass er richtig ist. Für euch, für die Gemeinde. Ach, Helene, Georg, ich freu mich so sehr für euch. Lasst euch drücken, liebste Freunde!« Eine Träne löste sich aus Annas Augenwinkel, als sie Helene nun umarmte. Die wusste nicht recht, wie ihr geschah, und blickte hilfesuchend zu Georg. Als sie sah, dass auch ihm eine Träne über die Wange floss, hätte sie sich vor Verzweiflung am liebsten mit beiden Händen die Haare gerauft. Waren die beiden denn von allen guten Geistern verlassen? Glaubten die etwa, sie und Georg wären ab heute ein Paar? Was sollte sie denn jetzt tun? In ihrem Kopf pulsierten die Gedanken. War Georg etwa in sie verliebt? Und wenn dem so war, wieso hatte sie es dann nie zuvor bemerkt? Panik schnürte ihr den Hals zu. Georg war ein lieber Mensch, ein sehr lieber sogar, mit dem sie gerne Zeit verbrachte, doch Georg als ihr – ja, was eigentlich, was wurde von ihr erwartet? –, als ihr Ehegatte?
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